Prämienverbilligung (und weitere Gedanken zum politisch-sozialen Status Quo in der Schweiz)
In der NZZ wurde die letzten Tage eine Debatte darüber losgetreten, dass viele Empfänger von Prämienverbilligungen auch Zusatzversicherungen haben.
Ich bin auch so jemand, der aktuell Prämienverbilligung erhält und gleichzeitig eine Zusatzversicherung hat. Dies hat den simplen Grund, dass meine Mutter besagte Zusatzversicherung bereits bei meiner Geburt abgeschlossen hat und ich jetzt so krank bin, dass ich diese Zusatzversicherung nie wieder bekäme, wenn ich sie erneut abschliessen wollte.
In einem Artikel wird erwähnt, der Grundgedanke der Prämienverbilligung sei, dass auch Menschen, die sich dies sonst nicht leisten könnten, in den Genuss der umfangreichen Kranken-Grundversicherung kommen. Erstens ist die Kranken-Grundversicherung nicht so wirklich umfangreich, sonst wären Zusatzversicherungen nicht so beliebt. Zweitens ist es in der Schweiz obligatorisch, krankenversichert zu sein. Das heisst wenn sich jemand die Kranken-Grundversicherung regulär nicht leisten kann, läuft etwas gewaltig schief.
Auch wird erwähnt, dass Empfänger von Prämienverbilligungen häufig die niedrigste Franchise wählen. Dies hat auch einen einfachen Grund: Prämienverbilligungen erhalten einkommensschwache Leute. Viele einkommensschwache Leute haben eine Behinderung oder eine chronische Krankheit. Beides limitiert in der Schweiz häufig das Einkommenspotenzial. Und wenn man oft krank ist, macht es Sinn, die niedrigste Franchise zu wählen.
Die Tatsache, dass eine Behinderung oder chronische Krankheit in der Schweiz das Einkommenspotenzial limitiert, finde ich auch stossend. Eine IV-Teilrente zu erhalten, ist schwierig, besonders wenn die Einschränkung nicht auf einen Blick für Aussenstehende sichtbar ist. Das Arbeitspensum richtig zu wählen, mutiert so zu einem Balanceakt, den Betroffene alleine ausführen und laufend überprüfen müssen: Arbeite ich zu viel, werde ich kränker, kann gar nicht mehr arbeiten und werde aufgrund der Länge der IV-Verfahren von der Sozialhilfe abhängig, bis die IV entschieden hat. Arbeite ich zu wenig, kann ich mir meinen Lebensunterhalt nicht leisten. Teilzeitarbeit kann für Aussenstehende aussehen wie Faulheit. Dabei arbeiten Betroffene an den arbeitsfreien Tagen häufig auch, nur nicht lohngenerierend: Arzttermine, Haushalt, Bürokratie in Zusammenhang mit der Behinderung oder chronischen Erkrankung. All das ist auch anstrengend und Arbeit.
Ich finde es einfach frustrierend, dass ich, egal wie sehr ich mich anstrenge, nie dasselbe Einkommen erreichen kann wie jemand mit dem gleichen Beruf aber ohne meine Behinderung. Hinzu kommen dann noch die versteckten behinderungsbedingten Kosten, wie die Notwendigkeit für gewisse Dinge, die für die meisten Menschen nicht notwendig sind, und der ständige Balanceakt zwischen Bedürfnissen. Welche meiner Bedürfnisse kann ich erfüllen und bei welchen sagt mein Kontostand nein? Dies ist eine Frage, die ich mir mehrmals im Monat stellen muss.
Mir ist bewusst, dass es für Aussenstehende einen komischen Eindruck machen kann, wenn ich finanzielle Prioritäten anders setze als der Durchschnittsmensch. Aussenstehende sehen dann, was ich mir leiste. Aber sie sehen nicht, worauf ich verzichte. Zum Beispiel fällt kaum jemandem auf, dass ich das letzte Mal im März beim Frisör war und voraussichtlich auch bis nächsten März nicht mehr zum Frisör gehen werde. Oder dass ich die Zahnreinigung auf unbestimmte Zeit verschoben habe. Aber wenn ich deswegen meine finanziellen Prioritäten an denen des Durchschnittsmenschen anpassen würde, wären meine Bedürfnisse noch weniger erfüllt.
Dieser Neid macht mich wütend. Warum muss man auf Menschen wie mich offenbar neidisch sein? Ich würde gerne tauschen. Wenn jemand findet, mein Leben mit meinen gesundheitlichen Einschränkungen sei schöner, würde ich meine Einschränkungen gerne abgeben und dafür als vollständig gesunder, neurotypischer Mensch 5 Tage die Woche arbeiten gehen. Wenn ich könnte, würde ich sehr gerne Vollzeit arbeiten. Aber ich weiss, dass das nicht geht, denn wenn ich Vollzeit arbeite, bin ich nach 3 Wochen reif für die Psychiatrie. Und ja, ich habe das vor nicht allzu langer Zeit ausprobiert, darum weiss ich das so genau.
Einen gesunden Menschen ohne Behinderung fragt man auch nicht, wofür er sein Geld ausgibt. Das wäre frech und unangemessen. Aber bei kranken Menschen oder solchen mit Behinderung ist diese Frage offenbar legitim genug, um sie in den Medien zu diskutieren. Werte wie Toleranz und Akzeptanz scheinen in der Schweiz kaum mehr zu existieren. Das finde ich sehr schade.
Kommentare
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Hallo @OK,
vielen Dank für deine Offenheit und deine Gedanken zu dem Thema. Ich glaube ich kann diese an einigen Stellen auch sehr gut nachvollziehen. Beispielsweise gibt es in Deutschland das so genannte Blindengeld. Auch hier sind Menschen oft neidisch, dass blinde Menschen "einfach so" Geld erhalten. Dabei ist dieses Geld dafür da sich beispielsweise Taxifahrten, Assistenzleistungen oder ähnliches zu ermöglichen.
Auch ich muss mich für einige Käufe oft rechtfertigen, die für mich mehr Barrierefreiheit bedeuten, für andere aber wenig nachvollziehbar sind.
Viele Grüße
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