Aktuell denke ich nicht, dass meine Chefin meine Offenheit ausnutzt. Die Angst, dass das eines Tages passieren könnte, ist aber da. Denn das wäre nicht das erste Mal, das jemand meine Offenheit ausnutzt. Mit Vorgesetzten ist mir dies bisher zwar noch nie passiert, aber ich stehe auch noch am Anfang meiner beruflichen Karriere. Menschen sind für mich unberechenbar und ich hatte schon viele Menschen, die ich für nett hielt, die mir dann aber irgendwann etwas zuleide getan haben.
Meine Chefin hat einen sehr guten Eindruck von mir, ich glaube sie traut mir manchmal sogar zu viel zu. Entsprechend habe ich Angst, dass ich diese hohen Erwartungen eines Tages massiv enttäuschen werden.
Eine ehemalige Teamkollegin hat die ihr zur Verfügung stehenden Informationen gegen mich verwendet. Meine Chefin hat das dann zum Glück sehr rasch und bestimmt unterbunden, und da die Teamkollegin sich nicht einsichtig zeigte, wurde das Arbeitsverhältnis mit ihr dann rasch in beidseitigem Einverständnis aufgelöst. Obwohl das eigentlich positiv für mich war, frage ich mich manchmal, ob ich der Teamkollegin ihren Job geklaut habe. Denn da die Firma so klein ist und sie eben von einem Tag auf den Anderen nicht mehr da war, habe ich effektiv ihre Aufgaben übernommen, und die Nachfolgerin übernahm dann meine ehemaligen Aufgaben...
Im Moment ist für mich der grösste Nachteil aber ein Anderer: Ich bin noch am Anfang meiner beruflichen Karriere, dies ist meine erste Stelle nach der Ausbildung. Nach einer eher generalistischen Ausbildung habe ich mich nun in die Immobilienbranche manövriert, eine Branche, aus der man nur schwer wieder herauskommt. Ich bin aber nicht so glücklich damit. Ich weiss nicht, wie lange ich die Tragik noch aushalte, mit der ich bei der Arbeit oft konfrontiert bin.
Sollte ich mich jetzt anderweitig umsehen, werde ich vermutlich nicht wieder dieselben guten Arbeitsbedingungen finden. Ich müsste mich also gewissermassen entscheiden, welche Aspekte mir wichtiger sind und welche weniger wichtig.
Das Gefühl, es nirgends lange auszuhalten, kenn ich sehr gut. Ich habe es bisher auch noch nirgends lange ausgehalten und ich habe keinen Anhaltspunkt, dass sich dies eines Tages ändern wird.
Zum Verstellen: Ich habe bereits in der Kindheit begonnen, mich zu verstellen. Mal mehr, mal weniger erfolgreich. Viel genützt hat es aber nicht. Aus einem Grund, den ich hier nicht erwähnen möchte, war ich vor Kurzem gezwungen, Berichte über mich aus meiner Kindheit zu lesen. Die Gefühlsausbrüche, die meiner Meinung nach aus dem langen Verstecken ebendieser Gefühle resultierten, wurden in mehreren Berichten als "Gefühlsinkontinenz" beschrieben. Es scheint, als ob die Erwartung sei, dass man seine Gefühle zurückhalten muss. Um die Analogie mit der Inkontinenz weiterzuführen, die "Gefühlstoilette", also den Raum, wo man seine Gefühle herauslassen darf, habe ich bis heute nicht gefunden.
Auch in der Therapie habe ich bisher nicht den Eindruck, weder bei meiner jetzigen Therapeutin noch bei den vorhergehenden, dass ich komplett ehrlich sein darf. Da ich aus verschiedenen Gründen in der Vergangenheit Klinikaufenthalte gegen meine Willen über mich ergehen lassen musste, habe ich nun Angst davor, zu ehrlich zu sein, sodass dies wieder passiert. Auch dies ist Teil meiner PTBS. Das macht eine Therapie natürlich extrem schwierig bis nahezu unmöglich. Offen gesagt habe ich aktuell keine Indikation dafür, dass meine Therapie eines Tages erfolgreich sein wird. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich mit dem jetzigen Zustand auf unbestimmte Zeit leben muss.
Ich habe mich so lange verstellt, dass ich heute gar nicht mehr weiss, wer "ich" eigentlich bin. Also, welche Version von mir ist das Original? Selbst zuhause habe ich nicht den Einduck, mich selbst sein zu können. Einerseits da ich nicht weiss wer ich bin, andererseits habe ich Angst, dass mich die Nachbarn hören könnten.