Hallo aus Bonn

Hallo,

ich bin froh, auf dieses Forum gestoßen zu sein. Ich bin Chris, fast 37 und habe nach einem langen Leidensweg nun endlich Klarheit, doch von Anfang an.

Schon als Kind habe ich immer wieder gemerkt, dass ich nicht gut mit anderen Kindern spielen konnte, dass ich irgendwie anders war. Hinzu kam, dass ich im Alter von 8 Jahren an Leukämie erkrankt bin, die Gott sei dank durch eine Chemotherapie vollständig geheilt werden konnte. In der Zeit nach der Chemo entwickelte ich eine starke Angststörung und war in psychologischer Behandlung.

Ich schaffte es aufs Gymnasium, welches ich mit einem mittelmäßigen Abi abschließen konnte. Mein Traum, Musik auf Lehramt zu studieren, erfüllte sich jedoch nicht, so dass ich neben meinem Hauptfach Latein dann Reli studiert habe. Leider fiel mir das Studium sehr schwer, ich schaffte es nie, mich zu fokussieren, probierte immer wieder neues aus: Niederändisch als Drittfach, Altgriechisch als Drittfach…daneben hatte ich immer Spaß an Sprachen, lernte z.B. Rumänisch.

Im Jahr 2016 ging es mir dann - unter anderem aufgrund eines notwendigen Studiengangwechsels - psychisch schlecht und ich musste therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Diese half mir zwar etwas, das Gefühl, anders zu sein, blieb aber. 2018 ging es dann rapide bergab, die Scham, dass ich nichts auf die Reihe kriege, der Vergleich mit Familienmitgliedern, die alle Erfolg hatten, nicht zu wissen, was mit mir los ist, lösten eine schwere depressive Episode aus, Gott sei dank hat eine bekannte Person den Ernst der Lage erkannt, sonst wäre ich jetzt nicht mehr hier…

Es folgte ein halbjähriger Klinikaufenthalt, durch ein Antidepressivum ging es mir besser, jedoch kehrte die Depression 2019 in voller Heftigkeit zurück.

Danach stabilisierte sich durch Antidepressivum und Fortsetzung der ambulanten Psychotherapie die Situation etwas. Fuß im Studium fassen konnte ich jedoch kaum noch, trotz bis heute andauernder Versuche.

Ich habe mein ganzes Leben lang immer wieder mit Menschen mit Behinderung gearbeitet, mein Vater ist Sonderpädagoge, so dass ich da etwas vorbelastet bin. Los ging es als Inklusionshelfer an der Förderschule meines Vaters, danach im familienunterstützenden Dienst der Lebenshilfe, daneben immer wieder als Begleiter von Ferienfreizeiten für Menschen mit Behinderung, meistens habe ich Autisten betreut. Diese Arbeit lag mir und hat mir immer Spaß gemacht. Durch die Geburt meiner Tochter, muss ich derzeit den Lebensunterhalt für die Familie bestreiten und arbeite so seit 2020 erneut als Inklusionshelfer, zuerst für einen Jugendlichen mit Tetraspastik an einer Schule für Menschen mit körperlicher Behinderung, seit Anfang 2022 an einer Grundschule, aktuell für einen Jungen mit geistiger Behinderung - das Beste, was mir passieren konnte, ein wertschätzendes Team, das mich so annimmt, wie ich bin.

In meiner Freizeit mache ich gerne Musik, spiele Klavier (Schwerpunkt: Jazz) und bin zudem als Aushilfsorganist in einer Kirchengemeinde tätig. Zur Entspannung gehe ich zudem regelmäßig Angeln und Vögel beobachten (siehe Nickname)

Das Gefühl des Andersseins ist aber nach wie vor da - meine Therapeutin kam auf die Idee, eine ADHS-Testung vorzunehmen - ich war da sehr ablehnend, ich hatte viele Klischees, bei uns ander Schule habe ich ja auch mit Kindern mit ADHS zu tun, das passt doch absolut nicht und ist das nicht einfach eine Modediagnose und eh kein richtiges Leiden? Die Testergebnisse waren aber deutlich: Ich habe ADHS. Vor zwei Wochen hatte ich einen Termin bei einer auf ADHS im Erwachsenenalter spezialisierten Therapeutin. Seitdem belese ich mich ausgiebig und habe mir viele Erfahrungsberichte von anderen Betroffenen angeschaut: Und plötzlich bin ich erleichtert, praktisch alles, was in mir das Gefühl der Andersseins auslöst, lässt sich durch die ADHS-Symptomatik erklären. Bei meinen Recherchen bin ich auch auf den Begriff der Neurodiversität gestoßen - ein Konzept, das mir gut gefällt. Ich hatte immer das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen für mein Anderssein -

durch die Diagnose habe ich endlich eine Erklärung - nach einem langen Leidensweg mit Fragen wie "Warum schaffe ich es nicht, mein Studium zu wuppen (an der Intelligenz liegt es definitiv nicht!)", warum kann ich mich schlecht Fokussieren auf DInge wie Bachelorarbeit, beginne ich zu verstehen, dass ich eben anders ticke als andere "neurotypische".

Sorry für den langen Text! Viele Grüße!

Der Buntspecht ;)

Kommentare

  • Nadine_EnableMe
    bearbeitet 16. Dez 2024

    Hallo @Dendrocopos maior,

    schön, dass du die EnableMe Community gefunden hast und vielen Dank für deine Offenheit. Auch ich habe im späteren Verlauf meines Lebens eine ADHS Diagnose erhalten und finde mich in vielen Punkten deines Textes wieder. Das Gefühl anders zu sein, Depressionen und Angsterkrankungen, Klinikaufenthalte und letzendlich die Erleichterung eine Antwort zu haben für das Gefühl. Ich habe dir 2 Threads zum Thema ADHS heruasgesucht, die in uns erer Community starkt diskutiert wurden. Vielleicht sind diese für dich auch interessant:

    1. Austausch zu ADHS mit PTBS Symptomen und Depressionen
    2. Sammelpost: Infos zum Thema AD(H)S
    3. ADHS/ADS Diagnose im Erwachsenenalter

    Viele Grüße

  • Hallo Nadine,

    schön zu lesen, dass es Menschen gibt, denen es ähnlich geht, wie mir!

  • domino
    domino ✭✭✭✭

    Hallo Chris (alias Buntspecht),

    herzlich willkommen in der Community! 😊
    Es ist großartig, dass du den Weg zu uns gefunden hast und so offen über deine Erfahrungen sprichst. Hier bist du genau richtig, um dich mit anderen auszutauschen, die ähnliche Herausforderungen und Erkenntnisse durchgemacht haben.
    Deine Geschichte zeigt, wie stark und reflektiert du bist, auch wenn du selbst vielleicht manchmal Zweifel hattest. Es ist inspirierend zu lesen, wie du trotz vieler Hürden deinen Weg gehst und jetzt mit der Diagnose ADHS endlich Klarheit und Erleichterung gefunden hast.

    Fühl dich hier jederzeit frei, Fragen zu stellen, Gedanken zu teilen oder einfach mitzulesen – du wirst sicher viele finden, die dich verstehen und unterstützen können. Schön, dass du da bist! 😊

    Bleibt schön gesund...

    Viele Grüße aus dem wunderschönen Harz

    vom Frank alias domino! 😎