Wie mit gesundheitlichen Einschränkungen umgehen?

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Liebe Community,

ich nutze nicht gerne den Begriff "behindert", weswegen ich ihn lieber durch gesundheitliche Einschränkungen umschreibe. Ich bin generell ein introvertierter Typ, deshalb gehe ich auch nicht mit meinen Erkrankungen hausieren. Es hat mich über ein Jahr gekostet, bis ich mich dazu durchringen konnte, einen Antrag auf Pflegegrad zu stellen (auch aus Unwissenheit). Inzwischen, nach einigen Kämpfen, habe ich Pflegegrad 2 erhalten. Bei der Begutachtung musste ich natürlich detailliert auf alle Einschränkungen eingehen, was mir sehr schwer fiel.

Mein Partner ist genau anders gestrickt. Er plaudert gerne mit allen möglichen Leuten (Bäckereiverkäuferin, Lottostelle, Nachbarn etc.) über meine Krankheiten, was mir gar nicht gefällt. Meine Psychotherapeutin (die Therapie endete 2020) sagte, dass es meine Entscheidung ist, wen ich darüber informiere. So sehe ich das auch, nur er leider nicht. Leider hat er jetzt auch wieder Kontakt zu einer eigentlich ehemaligen Freundin, der er dann auch gleich wieder alles brühwarm von mir erzählt hat.

Ist das nun falsch, wie ich mit der Sache umgehe? In Wartezimmern, wenn es um das Thema sitzen geht (was ich aufgrund einer Rückenverletzung und Schmerzen seitdem nicht kann) rede ich mich immer irgendwie heraus, auch wenn Fremde auf mich zukommen und nach dem Grund meiner Gehbehinderung fragen, habe ich immer vorgefertigte Antworten parat, die ich in so einem Fall abrufen kann. Mir ist das einfach unangenehm und lieber, einen anderen Grund zu nennen, als die Wahrheit zu sagen. Sollte ich das ganze lockerer sehen und mich mit meinen Krankheiten überall outen? Sollte es mir nichts ausmachen, dass mein Freund offen über meine Erkrankungen spricht?

Ratlose Grüße,

alex01

Antworten

  • Hallo alex01,


    klar ist es deine eigene Entscheidung mit wem und wie viel du über deine gesundheitlichen Einschränkungen sprichst. Deinem Parter würde ich aber auch sagen, das es dir unangenehm ist, das er es anderen einfach erzählt. Vielleicht hilft es dir, wenn du einigen vertrauten Menschen erzählst, was du für Einschränkungen hast. Ich weiß ja nicht, ob es wichtig ist es zu wissen um dir helfen zu können.

    Ich habe nie die Wahl gehabt etwas zu verheimlichen, da ich von Geburt an meine Behinderung habe und man es sieht. Ich habe allerdings viele Freunde die es nie gestört hat, ob jemand eine Behinderung hat oder nicht. In meiner Freizeit mache ich (wenn wieder möglich) in einer Gruppe Rollstuhltanz, aber auch da gibt es Partner ohne Behinderung, weil bei uns jeder mitmachen kann.

    Ich hoffe, es hilft dir etwas.

    Grüße Mummelinchen

  • Hallo Mummelinchen,

    danke für deine Antwort. Ich habe die Einschränkungen erst seit ein paar Jahren und bin generell jemand, der sich mit privaten Dingen zurückhält. Umso schwieriger ist es für mich, darüber zu reden. Wenn ich mir Ausreden einfallen lasse, fällt mir das leichter, als die Wahrheit zu sagen. Die letzte Neurologin bei der ich war, meinte, dass ich meine Einschränkungen noch nicht akzeptiert habe. So wird es wohl sein...

    Auch mein Partner wird sie nicht akzeptiert haben, da gestern wieder beiläufig der Satz fiel, dass er froh ist, wenn ich wieder laufen könne... Ich habe ihm schon öfter gesagt, dass es mir unangenehm ist, wenn er mit anderen Leuten über meine Erkrankungen spricht, aber er plaudert immer alles aus, weil für ihn "nichts dabei" ist.

  • Helmut60
    Helmut60 ✭✭✭
    bearbeitet 11. Apr 2021, 19:54
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    Hallo Alex,

    wenn man versucht sein "anders sein" seine Behinderung weg zu reden, zu verstecken macht das einfach gesagt Streß. Wenn man dann auch noch eine Hautkrankheit hat, die durch Stress schlimmer wird, denke ich ist es höchste Zeit, anders mit dem Thema umzugehen.

    Wie ich das für mich mache ?

    Ich kann aufgrund von Nervenschäden in Händen u. Füßen ( eine sogenannte Polyneuropathie ) seit fast 2 Jahren weder lange sitzen, noch still stehen, insbesondere auf schräg gebauten Bürgersteigen nur sehr langsam laufen, und torkel wegen Gleichgewichtsstörungen oft rum als wenn ich schlicht besoffen wäre. Folglich falle ich egal was ich mache auf.

    Dazu kommt, das ich eine nicht gerade unscheinbare Erscheinung bin. Mit 2 m Größe, breit gebauten 150 kg,.... und so einem auftreten, ist man für viele fast schon automatisch ein Hinkucker. Aber damit nicht genug. Ich hab ein Problem mit der Wirbelsäule : Gleitwirbel. Da ich beim langsamen laufen schnell die Spannung im Rücken verliere, meinen die Gleitwirbel das Wanderzeit ist, und begeben sich an Stellen wo sie sich unangenehm bemerkbar machen. Um das in Grenzen zu halten muß ich zwischendurch ... auch draußen unterwegs.. immer wieder ein Paar einfache Übungen machen, um die Wirbel u. Bandscheiben wieder zurecht zu rücken. "Netter weise".... oder wie soll ich es sagen, sehen diese Übungen aus, als wenn ich mir schlicht in die Hose mache, oder mir was verkneifen muß.

    So gesehen hätte ich allen Grund mich zu verstecken, oder meine insgesamt schwere Behinderung weg zu reden. Da sich dadurch für mich nichts ändern würde, ich mich noch weniger bewegen könnte, wordurch sich das ganze eher verschlimmern würde.... ist mir schlicht sehr egal was andere von mir denken. Vernünftige Menschen Fragen was mit mir los ist, denen sage ich halt das ich aufgrund einer blöden Krankheit schwerbehindert bin. Was sich aus den Geschichten ergibt, die die verbreiten die nicht Fragen, höre ich zwar auch immer mal wieder, aber daran kann man so oder so nix ändern.

    Zu guter letzt hab ich auch noch eine andere Seite. Ich mache seit ca. 10 Jahren Nordic Walking, und habe festgestellt, das ich auf eben gebauten Wegen, oder solchen wo ich mir einen ebenen Weg suchen kann, recht gut Nordic Walking machen kann. Ich bin dabei zwar nicht mehr so schnell wie vor Begin der Krankheit, von der Ausdauer haer hat sich jedoch nicht viel geändert. So machen in 3 mal pro Woche Nordic Walking.... in 130 Min. 11,5 km.

    Nun gibt es Leute die sehen mich 5 km von zuhause Nordic Walking machen, und mich in der Stadt wie Besoffen durch die Gegend torkeln.... Um den schrägen Bürgersteigen auszuweichen laufe ich da oft dem Verkehr entgegen auf der Straße. Man kann sich leicht ausmalen was dadurch für Geschichten entstehen. Anfangs hat mich regelmäßig die Polizei angesprochen, und gefragt ob ich Hilfe brauche.

    Letzten Endes ist mir dennoch egal was die Leute über mich reden. Ich kann... und muß für mich das tun was ich kann.... tue ich das nicht, gehts mir deutlich schlechter. Das ist bei den allermeisten von Krankheit oder Behinderung betroffenen so, und meistens tut man sich keinen Gefallen, wenn man um seinen Zustand "zu verschleiern" nach ausreden sucht, oder weniger vor die Tür geht.

    Könnte ich nicht sitzen, und müßte als Ersatz Knien, würde ich mir ein passendes Kissen mitnehmen, und mich überall da wo andere Sitzen, hinknieen. Wen´s interessiert warum.. der kann Fragen. Dem würde ich kurz sagen warum das so ist.

    Das hier ist nur der Teil meines Lebens ist, der mich persönlich.. meine Behinderung betrifft. Ich hab eine schwerst mehrfachbehinderte 36 J. alte Tochter, und bin seit 38 Jahren mit deren psychisch kranker Mutter verheiratet. Vielleicht hab ich von daher etwas mehr Übung mit dem anderssein umzugehen...... was aber nicht ausschließt, das andere das auch genau so locker sehen können.


    Nachtrag...


    Sorry, hab gerade erst gesehen das hier die Thema Beziehungen, Familie & Sexualität ist, und es dir wohl eher um Beziehungsprobleme im Umgang mit dem anders sein geht.

    Wie soll ich es sagen : Auch da gilt : Je offner man in der Öffentlichkeit, bei Freunden, oder auch in der Familie mit seinem anders sein umgeht, um so weniger Probleme sollte es deswegen mit dem Partner, und dem wie er mit deinem anders sein umgeht geben. Erwartet man von seinem Partner, das er "dein anders sein" bei Freunden und co. verschweigt, erwartet man vom Ihm das er vor seinern Freunden / euren Bekannten, aus "eigentlich ganz normalen Verhaltensweisen" ein Geheimnis macht, was zwangsläufig Spekulationen über das warum zur Folge hat.

    An solchen Spekulationen zerbrechen Beziehungen genauso, wie daran, das der eine dem anderen was vor macht. Da sollte man dann von Grund auf drüber reden, und versuchen sein eigenes Verhalten "allgemeinverträglicher" zu machen. "Ich liebe dich".. aber sag niemanden das und warum ich anders bin.... ist keine Grundlage für eine dauerhaftes zusammenbeben.

    :-) Helmut

  • Hallo nochmals, Helmut.

    In deiner Antwort auf meinen anderen Beitrag habe ich dir bereits geantwortet. Es kommt wahrscheinlich auch auf die Persönlichkeit und vielleicht auch die Lebenserfahrung an, wie man mit den Einschränkungen umgeht.

    Erst gestern war meine Schwägerin zu Besuch, die ein wenig nachbohrte, was mir sehr unangenehm war. Deshalb hatte sie auch nur knappe Antworten erhalten.

    Wenn du sagst, ich solle mich "allgemeinverträglicher" verhalten, ist das ja so, als wenn ich einen Teil meiner Persönlichkeit (Introvertiertheit) unterdrücken soll. Ich finde nicht, dass ich mich anpassen und dem Mainstream folgen muss und ich persönlich finde auch, dass es einfach meine Entscheidung ist, wem ich etwas sage. ICH wohlgemerkt, nicht mein Partner. Natürlich wäre es für ihn (oder auch mich) leichter, mich überall zu outen, aber das liegt nicht in meinem Naturell und wenn man etwas nicht möchte, sollte man es auch nicht machen.

    Dennoch fällt es mir möglicherweise mit der Zeit (und dem Alter) leichter, über solche Dinge zu sprechen.