Eilantrag vor Gericht, Fragebogen zurück

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Hi,

ich habe am 5. März eine Klage auf einstweiligen Rechtsschutz vorm Sozialgericht gestellt, da das Sozialamt meinen SBA mit GdB 70 und Merkzeichen B, G und RF auf GdB 50 ohne Merkzeichen runterschrauben wollte.

Ich leide unter einer Autismus-Spektrumstörung (Asperger). Kurze Vorgeschichte: dem Amt hatte ich nach Aufforderung einen Fragebogen zurückgesandt und Stellen benannt, bei denen ich in Behandlung war. Das war zum einen ein Krankenhaus, bei dem Notizen des Oberarztes, u.a. "desorganisiert", "nicht arbeitsfähig", "aber geistig fit", an die Behörde gingen und zum anderen ein Gutachter der dt. Rentenversicherung, der mir die Erwerbsunfähigkeit zeitlich begrenzt ausstellte.

Nun läuft es in dem Verfahren ja so, dass die Behörde ferndiagnostisch ein ärztliches Gutachten einholt und einem dann die Entscheidung übermittelt. Zumindest bei nachteilsbringenden Bescheiden hat der Betroffene dann das Recht, innerhalb einer angemessenen Frist Einfluss auf den Verfahrensausgang zu nehmen (er muss gehört werden, gemäß Art. 20 GG, dem Recht auf rechtliches Gehör).

Mein Vater war erbost und hatte der Behörde mitgeteilt, dass er mit ihren Plänen nicht einverstanden sei. Obwohl ich rechtlich unabhängig bin und er weder eine Vertretungsvollmacht besaß noch angab, eine zu besitzen, hat die Behörde sein Schreiben als *meine* Inanspruchnahme des Anhörrechts gewertet und den Bescheid versandt - nur eine Woche nach Anhörungserhalt. Wie sie später begründete, würde im Sozialrecht innerhalb eines "Eltern-Kind-Verhältnis" (wohlgemerkt ich bin Erwachsener!) ein "familiäres Vertretungsrecht" unterstellt werden. So ein Blödsinn, dachte ich mir.

Meinen später versandten Widerspruch wollte die Behörde auch nicht annehmen, da er nach einmonatigen Frist einging. Wichtig: Dies ist nicht die Frist in der man seine Anhörung einbringen kann, sondern die Frist, Widerspruch gegen den Bescheid einzulegen. Im Übrigen hat die Behörde gar nicht das Recht, einen Widerspruch formlos abzulehnen. Denn mit Eingang des Widerspruchs bei der Behörde ist das Widerspruchsverfahren automatisch eröffnet (§ 83 SGG), welches dann nur mit einem Verwaltungsakt (also einem förmlichen Abhilfe- bzw. Widerspruchsbescheid, vgl. § 85 SGG) beendet werden kann.

Das hat mich verärgert, denn die ursprüngliche Frist betrug 4 Wochen, und nicht eine. Mein Vater ist eine Dritte Person, die nicht zum Verfahren gehört. Ich argumentierte vor der Behörde und dann in der Klage, dass der Bescheid so nicht rechtsgültig sei (Bundessozialgericht entschied im Urteil vom 7.7.2011, B 14 AS 144/10 R: "Ein Verwaltungsakt, der ohne erforderliche Anhörung ergeht, ist fehlerhaft bzw. rechtswidrig und damit anfechtbar bzw. aufhebbar.“ und "Entschließt sich der Sozialversicherungsträger, eine Frist zu setzen, hat er eine angemessene Frist zu wählen. Deren Dauer hängt vom Verfahrensgegenstand ab. Fehler bei der Übermittlung der Tatsachen oder eine zu kurze Frist haben die Wirkung einer unterlassenen Anhörung.").

Ich habe diese komplizierte Story in meiner vierseitigen Klage dem Gericht mitgeteilt und außerdem sämtlichen mir vorliegenden Schriftverkehr (weitere 33 Seiten) angehangen. Keine Ahnung, ob das zu viel war (musste noch nie klagen).
Jedenfalls habe ich

1. die Feststellung der Nichtigkeit nach § 40 (1) SGB X beantragt, da die unzulässig unterbliebene und nicht wirksam nachgeholte Anhörung einen gravierenden Verfahrensfehler darstellt und solche nach § 40 (1) SGB X zur Nichtigkeit des Verwaltungsakt führen (ex tunc, also, dass es ihn nie gegeben hat), ersatzweise
2. die Aufhebung des betreffenden Verwaltungsaktes nach § 42 S. 2 SGB X, da die unzulässig unterbliebene Anhörung nicht wirksam nachgeholt wurde, obwohl ich die Behörde mehrfach auf §§ 40 - 42 SGB X und die Möglichkeit der Heilung von Verfahrensfehlern aufmerksam gemacht habe, ersatzweise
3. bei der beklagten die aufschiebende Wirkung des Widerspruchsverfahrens durchzusetzen

beantragt. Zu Punkt 3, ganz vergessen: mir wurde nach Drohen der Klage vor etlichen Monaten mittlerweile die Abgabe des Verfahrens an die zuständige Bezirksregierung bestätigt. Passiert ist seitdem nichts und auf meine Forderung, die aufschiebende Wirkung meines Widerspruchs anzuerkennen, hat die Behörde bis heute nicht reagiert.

Jedenfalls wurde sich der Sache am 5. März angenommen; die Antwort war erst heute im Kasten. Zu meiner Enttäuschung erhielt sie kein Urteil sondern eine Bitte, den "Fragebogen zur Person" auszufüllen und schnellstmöglich zurückzusenden.

Danach folgt ein Schreiben des Richters: "Sie haben hier eine Klage erhoben und Bescheide des Versorgungsamts nach dem neunten Buch SGB - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - angefochten. Damit das Gericht Ihr Anliegen möglichst schnell und umfassend beantworten kann, werden Sie gebeten den anliegenden Fragebogen möglichst umgehend und genau ausgefüllt zurückzusenden.
Außerdem soll ich eine Telefonnr (??) angeben. Zu meiner Information habe das Gericht in Anlage II Erläuterungen über den Gang des Verfahrens und Anmerkungen beigefügt, aus denen ich ersehen könne, unter welchen Bedingungen Nachteilsausgleiche vergeben und wie der GdB ermittelt wird.

Zu Anlage I: Dort wird gefragt, was ich mit meiner Klage erreichen will, welche GdB-Erhöhung und Merkzeichen ich ggf begehre, an welchen Krankheiten ich leide, wo ich regelmäßig in Behandlung bin/war (Fachärzte+Krankenhäuser), sonstige Verfahren (wie Rentenversicherung), welche Medikamente ich einnehme.

Tja, wie soll ich diese Reaktion des Gerichtes deuten? Dass das Gericht sofort über meinen GdB entscheidet wollte ich gar nicht. Ich wollte erst mal, dass der Bescheid des Amtes aufgehoben wird bzw. es bestimmt wird, die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs im Sozialrecht anzuerkennen.

Über jegliche Hilfe der Experten wäre ich sehr dankbar!

Lieben Gruß







Antworten

  • Hallo Steel,
    laut dem Rat unseres Fachexperten für Recht und Soziales ist die Antwort auf deine Frage wie folgt

    "Das lässt sich in einem Forenbeitrag bzw. einer entsprechenden Antwort so nicht klären. Das ist zu komplex und ist ein Mandat. Ich kann nur dringend empfehlen, dass sich der Betroffene an einen Fachanwalt für Sozialrecht in seiner Nähe wendet."

    Wir hoffen, das hilft dir weiter!
    Viele Grüße
    Dein MyHandicap/EnableMe Team

    A collective EnableMe profile for former moderators' posts

    Ein kollektives EnableMe-Profil für die Beiträge ehemaliger Moderatoren

    Un profil collectif EnableMe pour les messages des anciens modérateurs

    Колективний профіль EnableMe для дописів колишніх модераторів

  • Hallo Steel,

    in der Tat kann aus deiner Beschreibung nicht abgeleitet werden, mit welcher Absicht das Sozialgericht von dir die bezeichneten Unterlagen abverlangt, statt über den Antrag der einstweiligen Anordnung zu entscheiden.

    Vielleicht gilt es zunächst festzustellen, ob der Änderungsbescheid wegen Versäumnis der Widerspruchsfrist tatsächlich als unanfechtbar zu werten ist oder ob ein Tatbestand für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X begründet werden kann. Dann könnte nämlich dein Rechtsstreit in einem ordentlichen Vorverfahren (§ 83 SGG) geführt werden und gleichzeitig die unsachgemäße Anhörung, die lediglich einen Verfahrensfehler darstellt, nachgeholt werden ( § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X).
    Für diesen Fall wäre deinem Anliegen auf Behalt des bisherigen Schwerbehindertenausweises wegen aufschiebender Wirkung ( § 86a SGG) zu entsprechen.

    Sollte der Bescheid jedoch Bestandskraft erlangt haben, müsste nach meiner Beurteilung dein Antrag auf einstweilige Anordnung abgelehnt werden, weil in diesem Fall kein Hauptsacheverfahren (Widerspruch oder Klage) anhängig wäre. Denn im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzes kann eine Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands nur in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis getroffen werden.

    Auch für den Fall, wenn die Rechtmäßigkeit deines Widerspruchs anzuerkennen ist, vermute ich, dass dein Eilantrag dennoch vom Gericht aus folgendem Grund abgelehnt wird:

    Ist ein Begehren auf den Erlass einer vorläufigen Regelung gerichtet, die den Ausgang des Hauptsacheverfahrens vorwegnimmt, müssen schon besondere Gründe vorliegen, die eine solche Anordnung gebieten (vgl. Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 12. März 2012 – Az.: L 13 SB 3/12 B ER).

    Es müssen auch schwerwiegende Nachteile glaubhaft gemacht werden, die dem Antragsteller drohen, wenn seinem Begehren auf Feststellung von begehrten Merkzeichens nicht sofort entsprochen wird ( Beschluss LSG Berlin-Brandenburg vom 20. Januar 2014 – Az.: L 13 SB 119/13 B ER ).

    Derartige Tatbestandsvoraussetzungen sind meiner Meinung nach durch den Entzug der Merkzeichen G, B und RF nicht zu begründen.

    Ungeachtet dessen möchte ich darauf hinweisen, dass das Verfahren eines einstweiligen Rechtsschutzes nicht dazu dient, unter Abkürzung des Hauptsacheverfahrens (Widerspruch oder Klage) die geltend gemachte Rechtsposition vorab zu realisieren. Es kann in diesem Sinne auch kein Instrument zur Beschleunigung des Hauptsacheverfahrens sein.

    Im Übrigen wird der Bescheid durch die fehlerhafte Anhörung nicht nichtig im Sinne des § 40 SGB X Dies wäre erst beim Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers der Fall. Besonders schwer wiegende Fehler im Sinne dieser Norm sind solche, die derart im Widerspruch zur geltenden Rechtsordnung und den ihr zu Grunde liegenden Wertvorstellungen der Gemeinschaft stehen, dass es unerträglich wäre, wenn die durch den Verwaltungsakt unmittelbar nach außen wirkenden Rechtswirkungen eintreten würden (LSG Niedersachsen-Bremen; Beschluss vom 19,12,2002 – Az.: L 3 U 352/02 ER).

    Auch die Aufhebung des Bescheides nach § 42 SGB X, wie von dir beantragt, ist meiner Meinung nach ausgeschlossen, weil eine fehlerhafte oder unterlassene Anhörung in einem Rechtmittelverfahren grundsätzlich bis zur Ebene eines LSG nachgeholt werden kann.

    Sollte das Widerspruchsverfahren nicht aufgenommen werden, bestünde alternativ die Möglichkeit, im Rahmen eines Überprüfungsantrages nach § 44 SGB X die Rechtmäßigkeit des Bescheides überprüfen zu lassen. Dann wäre jedoch eine aufschiebende Wirkung gemäß § 86a SGG ausgeschlossen.

    Abschließend noch ein Hinweis auf dein Bezug auf das rechtliche Gehör nach Art. 20 GG. Im Sozialrecht ist hier § 24 SGB X maßgebend.

    Freundliche Grüße

    Haltom

  • Vielen Dank für die bisherigen Antworten.

    Sie helfen mir sehr weiter und ich habe beschlossen, mir einen Sozialrechtsanwalt zu nehmen.

    Ich habe eine "Privat-Beruf-Verkehr"-Rechtsschutzversicherung bei der ERGO/DAS.

    Allerdings mit 100 € SB, wie ich gerade sehe.


    Wisst ihr, ob "Privat" auch Sozialrecht einschließt?

  • Frag bitte die Rechtschutzversicherung, ob es mit eingeschlossen ist.
  • Bist Du weitergekommen, ist es in der Versicherung eingeschlossen?
    Eine Rückmeldung wäre sicher für einige interessant und hilfreich.
  • Die ERGO/DAS hat noch nicht geantwortet. In den Vertragsunterlagen steht aber enthalten ist Sozialrecht "um rechtliche Interessen vor deutschen Sozialgerichten wahrzunehmen".

    Beim Anwalt war ich heute. Nach über 70 Minuten Gespräch mit zahlreichen, vorgeschlagenen Strategien haben wir beschlossen

    dass ich meinen Eilantrag weiterführe, denn mehr als den Eilantrag ablehnen kann das Gericht nicht.
    Die Anwältin wollte bei der ERGO nachfragen, ob es problematisch ist, dass ich selbst Klage erhoben habe und die Anwältin erst nachträglich zu ziehe.
    Ich denke, das ist kein Problem.

    Sobald eine Entscheidung im Eilantrag vorliegt kann sich dann die Anwältin einschalten.

    Was mir gerade Sorgen bereitet ist aber: was, wenn ich Erfolg haben sollte. Es stehen noch 190 € netto für die Beratung aus. Andererseits fällt die Selbstbeteiligung nicht an, wenn der Rechtsschutzfall mit einer Erstberatung erledigt ist.


    Sobald es Neues gibt, werde ich berichten 😀
  • Danke für die Rückmeldung. Ich wünsche viel Erfolg 😉
  • Steel
    Optionen
    Kleines Update: das Gericht hatte schon vor dem Rückerhalt des Fragebogens die Akte beim Amt angefragt und um Stellungnahme der Klage gebeten. Das Amt hat dann anerkannt, dass mein Widerspruch ohne Zweifel einer sei und man sich darum kümmere, dass bei der zuständige Bezirksregierung nun über diesen entschieden würde.

    Außerdem wurde bestätigt, dass mir ein neuer SBA ausgestellt wird, bis eine rechtswirksame Entscheidung ergeht.

    Nur wenige Tage später kam dann tatsächlich auch der Widerspruchsbescheid der BR, der meinem Widerspruch aufgrund des Fristversäumnisses aber nicht abhilft. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hatte ich nicht angeführt.

    Dass dann plötzlich der Bescheid der BR kam legt nahe, dass mein Widerspruch bzw. die ganze Akte tatsächlich, trotz der Bestätigung der Behörde von vor ca 1 Jahr, nicht abgegeben wurde und dies jetzt erst mit Klageerhebung nachgeholt wurde.

    Da mein Eilantrag laut Gericht keinen Antrag auf Erfolg hat bat man mich, die Sache für erledigt zu erklären. Das tat ich dann auch.

    Nach Ostern werde ich mit meiner Anwältin das weitere Vorgehen besprechen.