Bagatellisierung der Behinderung, unzulässige Vergleiche Relativierungen von Leiden

Ich bin schwer mehrfach behindert, habe neben einer gesetzlichen Blindheit auch eine Niereninsuffizienz mit zum Glück nun einer Transplantation, ADHS, atypischen Autismus und bin komplex traumatisiert. Außerdem wurden mir sieben achtel meiner Nebenschilddrüsen und die Schilddrüse entfernt. Im Alltag muss ich um jeden scheiß kämpfen. Ich nehme 13 verschiedene Medikamente, von denen fast bei jedem bei der Beschaffung irgendwas schief geht, sei es, dass die Firma, von der ich es habe, auf einmal pleite gegangen ist, sei es, dass die Dosierung falsch angegeben wurde, sei es, dass gerade das Medikament von der verordneten Firma nicht lieferbar ist usw. . Egal, was ich tue, alles geht nur sehr zäh und mühevoll voran. Egal, was ich organisiere, es klappt nicht oder nru sehr umständlich. Dabei höre ich aber laufend von meinen Diskussionsgegnern, es ginge ihnen genauso, jeder sei doch irgendwie behindert und hätte doch irgendwas. Ich bin mit 38 berentet worden und habe häufig Pech. Ich erhalte von meinem Umfeld sehr wenig Empathie, vielmehr höre ich laufend, so sei eben nun mal das Leben. Dies höre ich in abgeklärter Weise , obwohl ich schon fast 50 bin und auch nicht auf der Brotsuppe dahergeschwommen bin. Wenn ich irgend jemandem erzähle, wie sehr mich diese Reden verletzen, heißt es immer, die anderen seien halt unsicher, die wüssten das halt nicht , wie das sei , die könntensich nicht reinversetzen, usw. Ich wünsche mir, dass meine Behinderungen da einsortiert werden, wo ich auch realistisch stehe. Gibt es jemanden, der meinen Wunsch verstehen kann? Laufend höre ich, jeder habe etwas, jeder habe sein Päckchen zu tragen, und für jeden sei sein eigenes Leid das Schlimmste. Dies relativiert und bagatellisiert aber meine Erkrankungen. Es geht mir nicht darum, dass ich das schlimmste Leid auf der Welt habe, aber ich möchte, dass es so anerkannt wird, wie es ist, nicht mehr aber auch nicht weniger. Stattdessen heißt es immer, jeder empfinde halt alles unterschiedlich . Das hat man mir auch bei meiner Traumatisierung wegen Mobbing gesagt, der eine könne Mobbing locker wegstecken, für den anderen sei es der blanke Horror. Dies schiebt sozusagen die Empfindungen auf das Opfer, wobei dann die Tat an sich als relativ und reine Empfindungssache dargestellt wird. Auch meine Behinderungen und meine schweren Kämpfe im Alltag werden als relativ dargestellt, so nach dem Motto, was ist schon normal? Dies ist für mich ein Schlag ins Gesicht. Kann mir jemand erklären, warum es (mir) wichtig ist, dass meine Behinderungen da gewürdigt und gesehen werden, wo sie sind? Stattdessen heißt es immer, ich wolle Mitleid, und das Leben sei eben kein Wunschkonzert . Ist das Leben wirklich so, oder muss man hier schon sagen, dass es in meinem Falle schon extrem anstrengend und schwierig ist? Dies hört sich nämlich immer so an, als sei es für jeden so, und ich hätte einfach nur keine Frustrationstoleranz wie all die anderen, denen es ja genauso geht, die das aber alles lockerer nehmen können. Das ärgert mich, und ich fühle mich ungerecht behandelt. Schließlich habe ich eine Menge zu ertragen und schon ausgehalten, sonst wäre ich gar nicht mehr da. Das soll jetzt nicht wieder eine runde Bewunderung auslösen, die wird nämlich immer gerne mal "geschmissen", um mich stillzulegen. Ich möchte einfach Ernst genommen werden, und ich möchte, dass diese schwarze Pädagogik aufhört, wenn man Dir Dein Leiden auch noch bestätigt, wird es ja noch schlimmer. Im Gegenteil, es würde mich sehr entlasten, da ich mich dann nicht mehr so fühlen würde, als sei ich einfach nur verrückt und würde alles nur so schlimm empfinden. Ich würde in meiner Wahrnehmung bestätigt und abgeglichen. Kann mir jemand sagen, ob das ein verständliches Empfinden ist, ohne gleich wieder zu sagen, was ist schon normal und verständlich ? Empfinden wirklich alle Menschen alles unterschiedlich? Ist wirklich für den einen schon ein Schnupfen zu viel, während ein anderer alles aushält? Ich glaube, so unterschiedlich gestrickt sind wir Menschen nun doch wieder nicht, immerhin sind wir ein und dieselbe Spezies. Ich würde ja auch nicht sagen, wenn jemand Krebs hat, jedem sein Leid ist für ihn das Schlimmste, also soll ein krebskranker auch jemanden als gleich krank anerkennen , der nur einen Schnupfen hat. Ich finde, damit ist man als chronsich Kranker etwas überfordert. Ich würde niemanden wegschicken, der mir sein Leid über seine Lesebrille klagt, aber ich möchte nicht, dass meine Erkrankungen bagatellisiert werden, so nach dem Motto, ich hab auch eine Brille. Kann jemand das verstehen? Ich möchte jetzt auf keinen Fall, dass mir wieder dauernd erklärt wird, warum die anderen so handeln. Diese Erklärungen habe ich bis zum Erbrechen gehört. Ich verstehe mittlerweile die anderen ja schon fast besser als mich selbst. Daher lebe ich in einem extremen emotionalen Chaos, da mir niemand hilft, meine Emotionen zu verstehen und auch zu sortieren und mich zu entlasten. Bin ich jetzt verrückt, oder würde ein normaler Mensch auch wollen, dass seine Behinderungen und seine Alltagskämpfe so gesehen werden, wie sie sind, oder ist wirklich alles nur relativ? Auf der einen Seite drücken mir Vollblinde laufend rein, dass sie ja ganz blind sind, und ich ja noch froh sein könne, dass ich einen Sehrest habe und "erst" mit 38 an die Dialyse gekokmmen war und nicht schon als Kind. Auf der anderen Seite soll ich dann wieder Menschen bedauern, die lediglich eine Laktoseintoleranz haben. Ich möchte aber allen, die das haben, nicht zu nahe treten, das kann auch sehr störend sein. Aber ich würde mir verbitten, dass dies mit mir verglichen wird. Bin ich jetzt einfach nur ein Schwächling, der die normalen Herausforderungen des Alltags und des Lebens einfach nicht aushält, oder habe ich zu Recht das Gefühl, dass das, was ich erlebe, wirklich etwas zu viel für ein "ach so ganz normales Leben" ist? Ich habe sehr viele Frustrationen auszuhalten, habe sehr viele Enttäuschungen mitzuerleben, und alles, was ich tue, ist mit zehnfacher Mühe verbunden. Das Ergebnis hinterher ist nicht einmal ansatzweise ein Bruchteil dessen, was ich an Mühe hineingesteckt habe. Es ist für mich ein Schlag ins Gesicht, wenn mir dann immer erklärt wird, das Leben sei eben kein Ponyhof. Zwischen dem, was ich habe und einem Ponyhof läge noch einiges dazwischen. Kann jemand meine Gefühlslage verstehen und mir mein Empfinden von Wut und Verzweiflung einmal psychologisch erklären? Ich möchte jetzt ausdrücklich nur darum bitten, auch wenn dies wieder als Egoismus angesehen wird, dass mir jemand mal erklärt, warum ich mich so fühle, und dass jemand mal meine Wut über diese abgeklärten Platituden versteht, so das mein Chaos in meinem Gefühlsleben geordnet wird. Wie gesagt, ich verstehe die anderen mittlerweile besser als mich selbst. Ich halte das so nicht mehr aus. Es wäre jetzt auch kein Ratschlag, mir zu sagen, beachte das Geschwafel einfach nicht. Schließlich habe ich zu wenig ANDERE Menschen, die mich wirklich ernst nehmen und Mitgefühl und Empathie haben. Stattdessen höre ich nur, was hast Du davon, wenn wir Dir sagen, dass es schlimm ist, es ändert doch nichts. Es würde eine Menge ändern, vielleicht kann jemand verstehen, was ich damit meine. Ich möchte einmal Empathie, dass jemand einmal parteilich auf meiner Seite ist und mit mir mitfühlt und sich mal in meine Situation reinversetzt. Wenn man nur für fünf Pfennig verstanden hat, kann man sich doch an drei Fingern ausrechnen, dass so viel auf einmal sehr schwer auszuhalten ist. Sätze wie, Altwerden ist nichts für Feiglinge, obwohl ich schon über 30 Jahre chronisch krank und von Geburt an fast blind bin, schon immer multimodale Wahrnehmungsstörungen und Probleme der Feinmotorik und der Koordination habe, und nicht einfach nur alt, verletzen mich einfach. mir dann wieder zu erklären, warum andere das sagen, ist eine weitere Verletzung, Empathieverweigerung und ein Kunstfehler. Gibt es hier andere Behinderte, die genauso empfinden wie ich, oder sind hier alle so toll und so cool und ärgern sich über gar nichts? Das wird mir nämlich auch laufend erklärt, andere sagen mir, mich regt nichts mehr auf, ich weiß mich zu wehren, mir macht nichts mehr etwas aus. Ich bin scheinbar nur von Robotern und Monstern umgeben. Bin ich die einzige Verrückte, oder bin ich einfach nur übersensibel? Braucht ni cht jeder auch aNerkennung und Würdigung seiner Situation? Darf man auch mal fühlen, und gibt es Menschen, die das dann auch mal verstehen und auch mal neben einem sind und nicht über einemstehen? Ich möchte nicht hören, dass ich das schlimmste Leid auf der Welt habe, aber es reicht mir wirklich , dass ich mit all meinen Erkrankungen offenbar der gesündeste Mensch auf der Welt bin, da es ja angeblich allen genauso geht, und diese Widerfährnisse einfach nur "das normale Leben" sind. Das kann einfach nicht sein. In der Hoffnung, dass die Verhexung sich hier löst, und dass mir endlich mal jemand hilft, sonst werde ich für immer verrückt, viele Grüße. Ich hoffe, dass ich jetzt hier nicht zerfleischt und verrissen werde, und dass es hier wenigstens einen gibt, der halbwegs nachvollziehen kann, worum es mir geht.

Antworten

  • Sorry, aber bei einem so langen Text ohne Absätze tun mir die Augen weh, vielleicht kannst du es etwas aufbereiten daß es lesbar ist.
    Gruß Hippy
  • Mensch, Du "schreibst mir aus der Seele":
    Präzise Zustandsbeschreibung!
    Dein Text könnte von mir stammen.

    Ich bin mir sicher Viele hier empfinden ähnlich bis genauso - Du bist also nicht allein (mit Deinen Leiden und den vielen Empathieverweigeren und Besserwissern -" von oben herab").

    Das war schon lange fällig das jemand das mal so beschreibt - da habe ich hier schon länger drauf gewartet, gehofft.

    Lesbarkeit Deines Beitrags ist für mich ok,es sprudelt eben nur so aus Dir heraus und dann kann man auch mal die Formalität vergessen - von einer Sehbehinderten sollte man das nicht erwarten.
    Also: Daumen hoch

    Es werden garantiert noch einige post's kommen.

    DANKE,
    liebe Grüsse,
    Kathrin49
  • Hallo Estefania,
    kommt es im Leben nicht sehr auf die Erwartungshaltung an? Ich finde schon, ich erwarte nichts oder nicht viel von nicht behinderten Menschen. Warum auch, niemand von denen kann etwas für meine Behinderung, warum sollte ich sie dann in Haftung nehmen?
    Der Staat tut viel, alles kann er auch nicht stemmen. Ich bin froh in Deutschland zu leben und nicht irgendwo wo es den Menschen weit erbärmlicher geht als uns auch ohne daß sie behindert sind.
    Positives Denken und sich mit seiner Behinderung zu arrangieren und sie zu akzeptieren bringt mich weiter als Klagelieder zu singen.
    Gruß Hippy
  • Ich weiß jetzt nicht, ob diese Antwort dann von allen oder nur von dem gelesen werden kann, der den Beitrag verfasst hat.

    Ich wende mich aber an beide.

    Der große Ansturm, dass ich so vielen aus der Seele sprechen würde, ist wohl erwartungsgemäß ausgeblieben.

    Es geht mir nicht darum, dass der Staat nicht genügend für mich tut. Es ging darum, wie man Menschen begleitet, die in Not sind. Man würde ja auch bei einer Begleitung eines Menschen, der trauert, auf die passenden Worte und das nötige Mitgefühl achten. Oder würde man zu einem krebskranken solche Sprüche ablassen, wie ich sie oft zu hören kriege?

    Ich gebe niemandem die Schuld daran, dass ich eine Behinderung habe und er nicht. Ich gebe aber anderen sehr wohl die Schuld daran, welche Reaktionen sie darauf haben. Jeder kann in diese Situation kommen, und dann möchte jeder auch, dass er angemessen behandelt wird.

    Ich habe als ausgebildete Diplomübersetzerin mit dem Abschluss von 1,3 keine Stelle gekriegt, soviel zum Thema Teilhabe behinderter. Dies mag auch meiner Persönlichkeit geschuldet sein, aber was Barrierefreiheit angeht, da könnte der Staat wirklich noch eine Menge mehr tun. Zumindest wären dann schon einmal diese Hindernisse aus dem Weg geräumt, die einem zusätzlich noch das Leben erschweren.

    Positiv denken, dankbar sein, dass man nicht in der Dritten Welt sondern in Deutschland geboren ist, das habe ich alles schon oft gehört. Wahrscheinlich hilft es mir nicht aufgrund meiner psychischen Störungen.

    Ich bin jetzt eben auch zu dem Schluss gekommen, dass ich wahrscheinlich einfach nur eine zu geringe Frustrationstoleranz habe. Dies mag an meinen psychischen Problemen liegen. Das ist nun nicht als Entschuldigung gemeint, sondern die psychischen Probleme resultieren ja daher, dass ich offenbar nicht richtig auf die Herausforderungen des normalen Alltags und meiner Erkrankungen reagiere. Andere sind da halt wesentlich tapferer als ich. Wenn ein Kamel zu Dir sagt, das geht allen so, reiß Dich zusammen, hör auf zu jammern, dann ist es einfach ein Kamel. Wenn viele Kamele das sagen, muss ja wohl was dran sein.

    Allerdings ging es mir nicht darum, ein Klagelied zu singen. Wie gesagt, es gibt genügend, die sogar über Einlagen in ihren Schuhen klagen. Ich hatte eigentlich etwas anderes beabsichtigt, aber das kann ich leider nicht ausdrücken, wahrscheinlich sind meine Gedanken so wirr, dass kaum einer sie wirklich verstehen kann.

    Ich hatte mich schon gewundert, als Kathrin schrieb, Du bist hier nicht alleine, viele denken so. Das wäre etwas komplett Neues gewesen und hätte meinen bisherigen Lebensrahmen wirklich gesprengt. Ich hatte schon befürchtet, dass sei vielleicht von hinten herein gemeint. Daher danke, Kathrin, dass Du es wirklich ehrlich gemeint hast, dass Du auch so empfindest. Normalerweise reagieren die Menschen auf meine Beschreibungen eher mit Ironie oder Ablehnung.

    Ich war gestern so froh, dass ich mich nach stundenlanger Suche überhaupt in irgendeinem Forum einloggen und anmelden konnte, dass ich vergessen habe, die Absätze richtig zu setzen. Es war auch schon fast 1:00 Uhr, und ich wollte unbedingt Hilfe suchen. Das ist mir dann auch gelungen. Punkt.

    Ich kann wahrscheinlich nicht wirklich deutlich machen, was ich meine, vielleicht liegt dies wirklich an meiner anderen Denkungsart.

    Meistens mache ich die Erfahrung, dass ich mit meiner Meinung alleine dastehe, sobald jemand eine gegenteilige Meinung vertritt, dann schließen sich alle ihm an. Daher muss ich jetzt mit viel Gegenwind rechnen.
    Eigentlich war meine Absicht, hier Entlastung und Leute, die ähnlich denken und fühlen zu finden. Aber das ist eben so, wenn man andersartige Ansichten hat, muss man auch gewohnt sein, damit zu leben.

    Vielen Dank für Eure Rückmeldungen, bis irgendwann mal wieder.
  • Hallo,
    es war nicht meine Absicht über dich herzufallen, im Gegenteil, ich dachte ich könnte dir Denkanstösse geben.
    Meine Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf mich.
    Gruß Hippy
  • Hei, Estefania!
    Dein Posting ist zwar schon etwas älter, aber ich habe mich gerade extra registriert, um mich bei dir bedanken zu können. Du sprichst mir aus der Seele, komplett, und der Text ist zwar lang, aber so unglaublich gut und treffend formuliert, daß ich in Zukunft einfach deinen Text zitieren oder verlinken werde, wenn Leute mir wieder mit ihren oft wirklcih dummen Relativierungsversuchen kommen.
    Also: Nein, du bist nicht verrückt. Ich glaube, die Welt ist verrückt. Überall gibt es diese TedX Videos und Berlichte über Menschen mit Behinderungen, die angeblich ein super tolles Beispiel für GESUNDE sein sollen - da diese mit ihren Problemen und Schicksalsschlägen so gut umgehen, daß ein gesunder sich eigentlich nur schämen kann, wenn er an seinen Rückschlägen leidet.
    Gleichzeitig kämpfen einige Behinderte darum, nicht als behindert bezeichnet oder wahrgenommen zu werden, sondern als normale Leute.
    Das führt dazu, daß die Menschen mehr und mehr konditioniert sind, auf alles außer Krebs und Fehlgeburten mit so postivien "ach, andere haben's schwerer" - Relativierungen zu antworten.
    Wenn man tiefer in die Sachen schaut, z.B. den Fall der Paralympischen Schwimmerin Victoria Arlen betrachtet, dann erkennt man aber, daß auch diese Menschen, die trotz Krankheiten super viel erreichen durchaus noch immer Probleme und Angst vor Ihren Behinderungen haben. Daß auch ein Paraympischer Star z.B. Angst hat, vor einer Verschlimmerung, davor, wieder ins Koma zu fallen, täglich KÄMPFEN, mit den Folgen ihrer Behinderung - daß wird im feel-good Modus des Probleme-Gibt-Es-Nicht-Nur-Herausforderungen-Dogma total ignoriert.
    Kämpfen müssen darf es nur noch als Vorstufe des Sieges geben.
    Geschichten müssen klingen: "Etwas schreckliches ist passiert, ihc musste sher kämpfen, nach einem Jahr habe ich meinen Schicksalsschlag in einen großen Erfolg verwandelt, und seither bin ich glücklicher denn je."

    Das ist aber totaler Stuß. Enigen mag es so gehen, andere mögen gelernt haben, gut klar zu kommen. Trotzdem ist für viele Menschen doch jeder Tag eine Herausforderung, Krankheiten können sich verschlimmern, das Leben ist schwer zu meistern, immer wieder erlebt man Enttäuschungen, und ein normales Leben, daß eben DOCH die meisten führen ist einfach nicht möglich.

    Ein wichtiger Faktor ist glaube ich auch deine Art der Behinderung. Etwas (scheinbar) eindeutiges wie Querschnittsgelähmt können die Menschen besser einordnen, als eine Kombination aus Problemfeldern, die, jedes für sich genommen jeden Durchschnittsmenschen doch ziemlich belasten würde.

    ADHS ist richtig Scheiße. Sehbehinderung ist ein echt ernstes Problem. Aspergers ist eine krasse Belastung. Nierenprobleme sind allein schon genug.
    Trotzdem ist die Kombination von Dingen für Menschen oft irgendwie schwerer zu verstehen als wenn die halt ganz konkret und sichtbar ein Bein fehlt.

    Ich persönlich kann dich total verstehen. Ich habe irgendwelche komsichen Dinge von ADHS/Borderline im psychischen Bereich, zu chronisch degenerierenden Sehnen, Hypermobilität/Ehlers Danlos, Gelenke, die sich mal spontan kurz bissle ausrenken und verschieben oder schmerzhaft ineinanderschieben, total instabile Wirbelsäule die aussieht, als wäre ich achtzig.
    Das ist im Vergleich eher banal, aber es ist eine crazy, irrsinnige Alltagsbelastung.
    Ich will jetzt nicht in zu viele Details gehen, aber die fokussierte Zeit, die ich für Physio-Übungen (die ich mir größtenteils selber suchen und zusammenstellen musste, bei Australischen Ballettpädagogen, da ich in Deutschland lauter Dinge verschrieben bekam, die alles noch schlimmer machten!) investiere, nur damit ich normal gehen kann und alles einigermaßen funktioniert, ist der Hammer.
    Ich kann/darf nicht lange sitzen - d.h. Zugfahrten etc. sind Gift für meine Hamstring-Sehnen, die dann wohl "auch einfach mal abreißen können" (Arzt-Zitat.)
    Das sind Sachen, die das Leben einfach mal total anstrengend machen. Man steht nicht einfach auf, duscht, geht zur Arbeit, geht einkaufen, geht feiern, geht Wandern, macht nen Skikurs, bricht sich mal das Bein und nach acht Wochen ist alles Paletti und mal 'ne Erfahrung gehabt.
    Man muß sein ganzes Leben danach ausrichten. Vieviel kann ich heute meine Hände belasten? Gitarre oder Jonglage? War der kleine Einkauf doch zu schwer? Krieg ich ne krasse Schmerzepisode? Mist, was ist jetzt wieder entzündet? Ausruhen oder ist es okay per Diclofenac mal noch was rauszuschinden? Wieviel Schmerzen im Fußgelenk sind passabel, ab wann wird's dann wieder wochenlang der Supergau?

    Andere - gehen einfach.
    Andere machen einfach Jobs - ich kann das meiste nicht machen, und bin prekär selbständig, weil selbst scheinbar leichte Tätigkeiten für mich einfach nicht gehen, und ich schlecht mittendrin sagen kann "Leute, ich MUSS mich jetzt HINLEGEN, da hat sich grade ein Wirbel verschoben, sorry, und im übrigen kann ich die Flaschen nicht auf das Regal stellen, weil meine Schulter abspackt und ich erstmal Cortison injizieren lassen muß, der Arm geht nicht hoch, da ist was zugeschwollen, ich bin dann mal ne Woche krank.."
    Menschen, die selber Probleme haben eher Verständnis, die meisten Leute, die ich kenne aber überlegen NICHT, ob sie heute durch den Wald gehen können, oder die Füße für die Arbeit aufsparen müssen. Die meisten überlegen nicht ob sie noch einen Liter Milch tragen können, oder ob das Joghurtglas schon genug ist, um nicht die Totale Überlastung auszulösen.
    Bleiben NICHT dann doch abends zu Hause, und machen sanfte Gymnastik, während andere in der Kneipe sitzen.
    Die meisten Menschen können überhaupt nicht verstehen, daß ein leichter Rollkoffer für mich zur ernsthaften Bedrohung werden kann.
    Das klingt banal - aber es ist es nicht.
    Man sieht es nicht, man wundert sich nur.

    Deine Probleme sind definitv ernst, und sehr belastend. Das ist NICHT normal. Bzw., jeder, der so eine Extra Belastung hat, hat eben eine krasse, schwierige Extrabelastung, und das ist Scheiße, und hat das Recht, als solche anerkannt zu werden.

    Ich finde es immer viel sympathischer, wenn Menschen fertig bringen zu sagen: "Das ist echt hart, du gute, sei tapfer, ich denk an dich." Als, "ach, jeder empfindet anders. Stell dir vor, andere haben Krebs." (Sagen die dann zur Krebsdiagnose, "He, sei mal dankbar, andere sind schon tot!" ?)

    Zwei Schwestern, die ich kenne, haben beide unterschiedliche Stoffwechselprobleme. Und gehen miteinander total liebenswert um. Weder heischen sie nach Mitleid, noch tun sie so, als wär es nichts. Sie informieren, aber auf freunldliche, mitfühlende (nicht mitleidige!) Weise.
    So: "Ach ja, sie muß immer Tababletten nehmen, und das und das darf sie gar nicht essen, krass, oder, ist echt mies, was? Dabei geht sie echt gerne ins Restaurant! Aber das kann sogar lebensgefährlich werden!"
    Und die andere: "Ich finde das so unfair, meine Schwester macht doch wirklich nichts falsches, und muß so kämpfen!"
    Irgendwie kann man mit denen total gut umgehen. Es ist alles nicht übertrieben, nicht befangen, nicht verheimlicht, nciht so auf stark gemacht, weggeschwiegen, nicht peinlich oder wegrationalisiert.
    Man fühlt mit, man kann auch seine eigenen Probleme erzählen, ohne, daß irgendwas unangenehm wird.
    Es wird anerkannt. Wo nötig, wird Rücksicht genommen. Man kann einander ein bißchen trösten, oder einfach über den Status Quo updaten, und man fühlt sich auch nicht irgendwie inandäquat oder mangelhaft.
    Das hat mir echt die Augen geöffnet. Meine eigene Family ist da ganz anders, und die Masse der Menschen reagiert leider genau, wie du es beschreibst.
    Obwohl es doch wichtig ist, die Menschen um sich zu informieren, daß man nicht so fit ist, und zu erklären, warum man etwas so oder so macht, damit sie sich nicht wundern.
    Leider glauben viel auch nicht, was man sagt.
    Total crazy - ich wäre nichts lieber als fit und blühend! Ich wollte eigentlich Artistin &Tänzerin werden - das gebe ich doch nicht auf, weil ich mir eine Krankheit ausdenke!? Im Gegenteil, ich habe trotz krasser Schmerzen alles versteckt und weitergemacht, und dadurch leider mehr kaputt gemacht, als nötig war..

    Ja, dieser Post ist lang und konfus, aber ich hoffe die original Posterin kommt damit klar, ich wollte ihr vor allem eine Antwort schreiben, da ich die Dinge genauso auch erlebe! Bitte verzeiht Tippfehler!