Was fehlt, um Baustellen barrierefrei zu passieren? (Probleme, Lösungen)

Hallo,

mein Name ist Marius und ich studiere Landschaftsarchitektur an der Leibniz Universität Hannover. Im Rahmen meiner Abschlussarbeit ("Barrierefreiheit an Baustellen") beschäftige ich mich mit Problemen und Lösungen zur Barrierefreiheit an Baustellen im Straßenraum.
Um meinen Horizont in dieser Thematik nach der Grundlagensammlung zu erweitern, bin ich auf der Suche nach Experten bzw. Betroffenen, die mir weitere Anregungen und Erfahrungen weitergeben können.

Die wesentliche Frage dazu lautet:
„Welche Probleme ergeben sich bei der Umgehung von Baustellen und wie können barrierefreie Lösungsmöglichkeiten aussehen?“

Ich würde mich sehr freuen, wenn sie Lust hätten, mir zu helfen und ihre Meinungen und Erfahrungen zu äußern. Bei Interesse können sie sich an den nachfolgenden Fragen orientieren:

1. Erfahrungen
Welche Erfahrungen haben sie mit Baustellen im innerstädtischen Verkehrs- und Freiraum gemacht?
Wie oft geraten sie in Konfliktsituationen oder Unsicherheiten beim Passieren von Baustellen?
Inwieweit kommt es vor, dass Baustellensituationen für sie ohne fremde Hilfe nicht passierbar sind?
Was stört sie am meisten?

Wie orientieren sie sich in der Regel bei unbekannten Baustellensituationen?

2. Probleme
Welche konkreten Probleme gibt es für sie bei der Umgehung von Baustellen im Außenbereich?

3. Lösungen
Was benötigen sie für eine sichere, barrierefreie Umgehung von Baustellen? Was fehlt ihnen dabei im Einzelnen?
Inwieweit nehmen sie Lösungsansätze in der Praxis wahr?

Wo würden sie ansetzen?

4. Informationsvermittlung
Wo und wie informieren sie sich über Baustellensituationen und Hindernisse oder Veränderungen im öffentlichen Raum?

Wie können ihrer Meinung nach Informationen zu barrierefreien Baustellenumgehungen am besten vermittelt werden?
Welche Medien und Instrumente eignen sich dazu?

Vielen Dank!

Antworten

  • OOOh .. welch schöne Frage....

    Mein grundsätzliches Problem mit der Einrichtung einer Baustelle ist, dass es keine Berücksichtigung der
    "DIN 18040-3:2014-12 Barrierefreies Bauen - Planungsgrundlagen - Teil 3: Öffentlicher Verkehrs- und Freiraum"
    bei den Anwendern besteht - Breite der Wege und Absicherungen, selbst als "Provisorium" nicht. Hier wird meist nur auf "reguläre Fußgänger" Rücksicht genommen.

    Das wechseln von Straßenseiten über normalen und nicht abgesenkten Bordsteinkanten, Abwässerungsrinnen, Wasser-Schläuchen und Stromkabeln sowie auch das Verstellen und Einengen der Wege mit Schildern, breite Standfüße aus Beton - was auch wegen Wind und Standfestigkeit nachvollziehbar ist, ist die reale Baustellenwelt. Selbst schnell eingerichtete Gehwege über Schotter und Rumpelpisten mit Schlaglöchern ist eine Normalität. Plankenwege oder Übergänge mit Bohlen mit einer Stufe am Anfang oder am Ende.... usw.

    Für Sehbehinderte und für blinde Menschen ist es ebenso eine Gratwanderung der besonderen Art.
    Aber Mal zu den einzelnen Punkten:
    1. Lösungsansätze für eine barrierefreie Passierung einer Baustelle habe ich bisher seeehr selten wahrnehmen können.
    - In Fußgängerbereichen trifft man unvorhergesehen bei "Umleitung" auf Stufen und Schwellen die für Rollifahrer nicht geeignet sind. Spontanes wechseln, wie es Fußgänger können, ist leider nicht möglich.
    - Farbliche Gestaltung für Sehbehinderte fehlt grundsätzlich
    - unzureichende Hinweise
    usw.
    2. befestigte Wege (meist feiner oder grobe Schotterweg und Holperpisten - was man auch immer darunter verstehen möchte!)
    3. Die oben aufgeführten "Missstände" sind dazu selbsterklärend!
    (eventuell sollte man sich einfach Mal 5 min Zeit nehmen und den Baustellenweg sich richtig mal anschauen und sich selber vorstellen, das man mit einem Gipsfuß und Gehhilfen/Rollator den Weg bewältigen muss. Alternativ kann mann sich auch eine Schweißerbrille aufziehen und sich einen Wanderstock nehmen und den Weg mal abgehen?)
    4. Baustellen findet man eher wohl unverhofft. Ich informiere mich grundsätzlich nicht, ob in einer Einkaufszone oder Wohngebiete eine Baustelle eingerichtet wurde und wenn man es könnte, wo auch???? (Denke hier wäre der verwaltungstechnische Aufwand und somit die Kosten zu groß!)
    Hinzu kommt, nicht für jeden ist eine "Wegbehinderung ein Erschwernis" die eine Erwähnung finden muss.

    Erleichterungen werden meist wegen der Kurzfristigkeit der Baustelle und der nicht eingeplanten Umstände aus finanziellen Gründen auch nicht weiter berücksichtigt.
    Außer es sind "Unfallgefahren" vorhanden oder , man möge mir da ein schwarzen Schalk hier nachsagen, es sind von verantwortlichen Personen der Baustelle persönliche Interessen betroffen die eine bessere Einrichtung umsetzen lassen.
    🥺 🥺 🥺

    Gruß
    rollispeedy


  • Leider hat rollispeedy völlig recht und man könnte seine Liste endlos weiterführen . Eigentlich kann ich mich an keine Baustelle erinnern bei der nicht irgend ein Mangel vorhanden war . Ob das Einführen einer Norm eine Änderung bringen würde möchte ich bezweifeln . Das einzige was weiterhelfen könnte wäre eventuell eine sensibilisirung von Vorgesetzten und Bauarbeitern . Was wiederum Hirn und Herz bei den Arbeitern voraussetzt , Bei gewissen Ausgaben dieser Spezies bezweifle ich ob so was noch vorhanden ist .
  • Vielen Dank für eure Antworten @rollispeedy @colores 😉
  • Also in Deutschland ist es eigentlich gesetzlich "eindeutig geregelt" !
    Es besteht in "jeder Landesbauordnung" ein bestimmter sinngemäßer Satz:
    "....der aktuelle Stand der Technik ist anzuwenden..."

    Im Umkehrschluss heißt es, wenn ein "Gutachter" etwas zu bewerten hat, zieht er die aktuellen bestehenden DIN-Normen heran, wonach man eindeutige technische Richtwerte vorliegen hat um Barrierefreiheit zu definieren. Diese sind dann bei "sicherheitsrelevanten Fragen", für den öffentlichen Bereich, maßgebend.

    Auszug aus der Norm: "...Dieser Teil der Norm gilt für die barrierefreie Planung, Ausführung und Ausstattung von öffentlich
    zugänglichen Gebäuden und deren Außenanlagen, die der Erschließung und gebäudebezogenen Nutzung
    dienen.
    Zu den öffentlich zugänglichen Gebäuden gehören insbesondere Einrichtungen des Kultur- und des
    Bildungswesens, Sport- und Freizeitstätten, Einrichtungen des Gesundheitswesens, Büro-, Verwaltungs- und
    Gerichtsgebäude, Verkaufs- und Gaststätten, Stellplätze, Garagen und Toilettenanlagen (vgl. § 50 Abs. 2
    MBO)....."

    (Straßen, Fußwege, Fußgängerzonen im öffentlichem Raum usw. sind öffentliche Einrichtungen diese Normen beziehen sich nicht auf private Einrichtungen die der Öffentlichkeit nicht zugänglich sind)

    Und die Norm macht keinen Unterschied zwischen einer "Baustelle oder einem fertig gestellten Bau"!!!!

    Es kann sich daher keine Verwaltung, Architekt oder Bauherr heraus reden. Es ist eben eine Frage der Einstellung und der Sensibilität der verantwortlichen Personen ob die Norm eine Anwendung findet.
    Und eine DIN ist europaweit anwendbar, da sie von DIN-Normenausschüssen der Länder gemeinsam erarbeitet wurde. Inwieweit sie eine "rechtliche Bindung" hat, ist von den gesetzlichen Bestimmungen der Länder abhängig bzw. ob es vom Gesetzgeber verabschiedet und beschlossen wurde.

    Gruß
    rollispeedy

  • Ja Rollisseedy hat völlig recht , die gesetzlichen Grundlagen sind vorhanden , nur wird das in der Realität zu 99% nicht ausgeführt .
    Wie wäre das wenn wir als Betroffene bei ungenügend eingerichteten Baustellen uns an Presse oder Fernsehen wenden würden !
  • Ich finde, Presse ist der letzte Weg, den man gehen sollte. Im Dialog mit den Verantwortlichen sollte man nach "vernünftigen Lösungen" suchen. Denn wenn es zu einem Presseartikel kommt, ist es nicht immer zum Vorteil.
    Eine Kommune hat nicht nur die Aufgabe die Barrierefreiheit zu beachten, sondern es gibt vielseitige Interessensgruppen die ebenso ein Bedürfnis haben auf Berücksichtigung. Und wir wissen alle, ein Geldbeutel ist begrenzt.

    Was hilft es einem, wenn mit viel Spektakel etwas zu 100% barrierfrei" (um)gebaut wurde und andere ebenso wichtige Dinge vernachlässigt werden müssen wegen begrenztem Budget (finanzielle Verfügbarkeit)?
    Nein, ich denke sich sinnvoll in Planungsphasen einzubringen oder bei vorhandenen wesentlichen baulichen Benachteiligungen verantwortliche Gremien oder Personen darauf im Gespräch aufmerksam machen, ist effektiver und nachhaltiger!

    Für verantwortliche Architekten und Bauherren würde ich mir wünschen, dass sie sich rechtzeitig bei fachkundigen Menschen informieren und sich selber nicht als Allwissend darstellen. Oft ist es leider so, dass Architekten sich "nicht reinreden" lassen wollen in ihrer zeichnerischen und künstlerischen Kreativität, da sie ja alles bereits per Studium, inkl. der Berücksichtigung der Barrierefreiheit, gelernt -"pardon: studiert"- haben.
    Eine Kommune geht davon aus, dass ein Architekt die Barrierefreiheit berücksichtigt hat, da sie gesetzlich in den Bauausschreibungen vorgeschrieben ist, wenn es sich um öffentliche Bauten handelt.
    Sollte es nicht der Fall sein, muss es noch nicht einmal im Architekten-Auftrag stehen, da die Landesbauordnung (Landesbaugesetz der Länder) klar definiert für welche Bauten die Barrierefreiheit vorgegeben ist.

    Bei einer Baustelleneinrichtung, Aufbau von Umleitungen und anderen Abschrankungen der Baustelle, ist das wissen des Bauleiters gefragt und in wie weit er sich mit der Baustelle vor Ort auseinander setzt. Das Bauamt selber ist oft selber nicht in der Lage, jedes Detail einer Baumaßnahme zu kontrollieren um somit auf Besserung hn zu wirken. Da reicht einfach nur mal ein nettes geführtes Telefonat mit Darlegung der fehlenden Berücksichtigung der Barrerefreiheit (z.B. Schwellen oder Stufen die nicht mit einem Rolli, Rollator, Kinderwagen befahren oder überwunden werden können, nicht Erreichbarkeit von Eingängen, Bedienungselementen oder Überwegen oder einfach eine fehlende Beleuchtung usw.)

    Gruß
    rollispeedy
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