Arbeiten, Traumberuf, Arbeitswelt- in deren Augen nur unfähig, unbrauchbar, ugeeignet?

Hey ihr Lieben,
okay ich glaube, das wird ein langer Text, aber vielleicht hast Du ja die Zeit und Geduld, meinen Text zu lesen, denn ich weiß echt nicht mehr weiter...
Zu mir: Ich habe im Alter von 12 Jahren wiederholte sexuelle Gewalt erfahren und leide seither unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Ziemlich nervig und scheiße.

Mein Traum ist es seit jeher Medizin zu studieren. Und nein, nicht um irgendwas wett zu machen, oder "mir selbst zu helfen" oder sonst einen Grund von Kompensation wegen, sondern allein deshalb, weil es mich mega interessiert und ich Bock darauf habe und mir kein geileres Studium und keinen geileren Beruf vorstellen kann und auch die Schattenseiten, die jeder Beruf hat, in Kauf nehmen würde.
So.
Habe sehr konsequent darauf hingearbeitet, zehntausend Pflegepraktika absolviert, aus reiner Spaß an der Freud, in den Schulferien, ich lese Thieme Bücher aus Interesse und Begeisterung, ich bin bei Ärzten im Praktikum mitgelaufen, habe ehrenamtlich jahrelang im DRK im Sanitätsdienst gearbeitet, alles neben der Schule bzw. in den Ferien und das trotz all meiner Einschränkungen, die ich bis dato noch versteckte.
Habe meine Oberstufe Zusatzqualifikation in Gesundheit und Soziales ausgesucht, mit drei Zusatzfächern, habe
in den Ferien die Rettungssanitäterausbildung begonnen, mein Abitur gemacht.
Tja. Eines habe ich halt nicht mit einbrechnet: Dass es mir schlecht geht.
Deshalb konnte ich die Rettungssanitäterausbildung nicht Zu Ende machen, weil ich mit PTBS nicht zur Abschlussprüfung zugelassen wurde, mein Zeugnis wurde ein 2,5 statt 1, (mir ging es mega mega beschissen und ich hatte noch keine Medis und nichts, es war schrecklich), habe mich aber irgendwie halt durchgeboxt.
Nun ja...
Krankenpflege begonnen 2014, gemerkt, ich bin noch nicht so weit, vernünftigerweise abgebrochen...
Ich habe die letzten Jahre sehr hart an mir gearbeitet, ambulant und stationär, denn ich WILL gesund werden und wieder können und denke, dass ich das auch selbst am meisten in der Hand habe, bzw. es auch an mir liegt, an mir zu arbeiten, damit sich was verändert.
Es hat sich auch viel getan und die Ärzte haben meine Fortschritte gelobt, mir selbst ging es natürlich zu langsam und es hat lang gedauert, bis die Ärzte und Therapeuten mich zu der Einsicht bekommen konnten, dass ich Geduld haben muss, da das nun mal eine langwierige Sache ist, die Zeit braucht. Jahre, viele Jahre....

Nun ja. Ich akzeptiere, dass die Medizin warten muss. Ich sammel nun Wartesemester und arbeite täglich an meinen kognitiven Einschränkungen, um mich bis in vier Jahren wieder soweit gepimpt zu haben, dass es werden kann...ich möchte es wenigstens VERSUCHEN, denn ich brenne für nichts so sehr.
Ich bin keineswegs naiv. Überhaupt nicht. Ich weiß um meine Einschränkungen, die ich so aktiv wie möglich angehe und versuche jede Möglichkeit auszuschöpfen. Ich glaube an die Plastizität des Gehirns, um es mal nüchtern zu sagen. Und ich möchte mich nicht behinderter machen als ich bin.
Ich weiß, dass ich krank bin und akzeptiere das. Aber ich sehe nicht ein, mich auf meine Einschränkung zu reduzieren. Ich bin immer noch mehr als meine Krankheit. Ich definiere mich nicht darüber und möchte auch nicht darüber definiert werden.
Und mir leuchtet ein Reha System nicht ein, das einen vor jeglichen Konflikten und sozialen Dingen abschottet - wie soll man da wieder umlernen und stressresistent werden? Versteh ich nicht. Habe das auch abgelehnt deshalb, denn ich sehe den Zweck nicht darin. Ich will doch rauskommen, nicht drinbleiben!
So, nun ist die Sache...
Seit jeher habe ich nichts anderes gemacht als soziale AKtivitäten. Stets erhielt ich ein sehr positives Feedback von allen Seiten, von Krankenpflegern, Ärzten, Patienten und anderen sozialen Orten, in denen ich arbeitete und alle sagten, du musst das unbedingt machen.
Diese Menschen haben mich erlebt. Ohne von meiner Krankheit zu wissen.
So. (oh gott ich glub der Text ist lang!)
Die vom Arbeitsamt haben damals, als ich leider abgekracht bin und seither auch keine PRaktika gemacht habe, weil es nicht mehr ging,
mir ein Gutachten ausgestellt: Ausschnitt von mir bzw. Bewertung" meiner Erkrankung:
Intelligenz: guter Durchschnitt bis Überdurchschnitt, Persönlichkeit - zu dem Zeitpunkt noch sehr introvertiert.
Empfehlung Ausbildung im KAUFMÄNNISCHEN BEREICH, auf keinen Fall sozialer Bereich oder Studium.
Dieses Gutachten ist jetzt zwei Jahre alt und zufällig bin ich kein starrer Stein, sondern ein formbares lernfähiges Lebewesen.
Sprich, es hat sich diesbezüglich nochmal viel getan, im Positiven.
Rehaberatung bezieht sich aber volle Kanne darauf.
Auf sowas habe ich aber keinen Bock. Ich gehöre einfach in den Sozialen Bereich.
Fertig. Das sagen alle Freunde, Familie, alle die MICH kennen und mich trotz Krankheit erleben.
Und die sagen mir ehrlich was sie denken.
Ich rede mir nix schön. Aber ich sehe auch nicht ein, einen Traum aufzugeben, nur weil so ein Wichser meinte, mir mein Leben kaputtzumachen. Ich trage nun die Verantwortung mich wieder hinzukriegen und ich glaube auch, dass das möglich ist.
Nun bewarb ich mich als KrankenpflegeHELFER, wollte klein anfangen. Ich bin dafür transparent zu sein, bisher gute Erfahrungen damit gewmacht, sagte, ich kann wirklich ALLES machen, nur eben keine Männer untenherum waschen.
ABGELEHNT. Alle haben mich explizit deshalb ABGELEHNT.
Dann gibt es aber Examinierte und Auszubildende, die fettleibige Durchfallekrankte Patienten zu "ekelig" finden und sich weigern. Naive junge Mädels, die reingehen, mit der Vorstellung die Welt zu retten und zusammenbrechen, wenn jemand stirbt.
Und diese werden aber genommen? Und ich nicht, weil ich keine Männer waschen kann? Ich fragte extra nach Kompromissen, ich bin da sehr transparent und absolut kompromissbereit, bin mir für nichts zu schade. Aber eine Panikattacke bringt dem niemandem was und dem Patienten schon gar nicht.
Das ist mein einziges Handicap im Bereich Pflege.ABGELEHNT.
Die andere AKademie lehnte mich ab, weil sie mein Interesse in FRage stellte, da ich in der Krankheitszeit leider keine zehntausend Praktika in den FERIEN absolvieren konnte. Ja tut mir Leid. Ist wohl noch nicht genug??
Sanitätsdienst fällt weg, wegen Diagnose. Verstehe ich.
Schulische Gesundheitsberufe - kriege kein BAfög, nebenher Arbeiten schwierig. Keine Unterstützung. Finanzierung und Lebensunterhalt?Schwierig.Geht nicht.
MFA bleibt mir noch zum Bewerben.

Aber so langsam verliere ich wirklich meine Lust. Dabei ist die immer mega groß. Ich habe riesen Lust. Und ich bin hochmotiviert und interessiert und das ist mir tatsächlich in dieser Sache manchmal mehr Fluch als Segen, weil es eben nicht klappt.
und ich sitze in den Startlöchern, will lernen und entdecken und tun, aber die Erkrankung schiebt mir immer wieder nen Riegel vor.
Und dann die Ablehnungen und die ständigen Rechtfertigungen, ich bin das langsam nur noch leid.
Ich kann langsam nicht mehr kämpfen. Ich fange langsam wirklich an zu resignieren und denke:
"Gut. Dann arbeitest du halt dein Leben in ner Behindertenwerkstatt und klebst Holz zusammen. Dann ist das halt so. Pech gehabt."
Aber ich will eigentlich nicht resignieren....Ich will meine Lust nicht verlieren, aber langsam bin ich kurz davor.
Ich habe gerade null Motivation mehr mich noch irgendwo zu bewerben, oder einen Schritt zu unternehmen.
Ich habe mich so sehr bemüht. Und ständig macht der Scheiß mir einen Strich durch die Rechnung.
Ständig muss ich mich rechtfertigen. Dabei kann ich auch nicht mehr als mein Bestes geben.
Und irgendwie klarmachen, dass ich mehr als meine Krankheit bin, ein Mensch mit Fähigkeiten und Leidenschaften und Kompetenzen - auch durch die Krankheit entstandene!
Ich habe das Gefühl, dass ich für diese (Arbeits)welt völlig unbrauchbar bin. Ich dümpel hier vor mich hin, glaube langsam nicht mehr daran, obwohl es das letzte ist, was ich verlieren will: Meine Lernlust, meine Hoffnung, mein Glauben daran, dass es werden kann. Ich will so gern. Aber langsam hab ich echt keine Kraft und Lust mehr.
Habt ihr einen Rat? 🙁

Danke an alle, die mir antworten und es überhaupt bis hier runter gelesen haben! 😃 SOrry für den mega Text...
Ich hoffe es ist alles verständlich!
Ansonsten könnt ihr gern nachfragen. 😀

Liebe Grüße!

Antworten

  • Hallo Honigkuchenpferd,

    zunächst einmal herzlich willkommen in der Community! Schön, dass Du MyHandicap gefunden hast 😀

    Ich kann verstehen, dass Dich diese Situation frustriert.
    Andererseits kann ich auch die Betriebe verstehen, dass ihnen diese Einschränkung zu groß ist. Geht es doch leider in vielen Betrieben nur darum, die Leute sicher, satt und sauber zu halten...

    Unser Gesundheitssystem krankt halt erheblich.

    Du bist eine besondere Person. Das erfordert eben auch einen besonderen Arbeitgeber. Diese Arbeitgeber_innen gibt es. Zwar leider noch viel zu selten, aber man kann sie finden. Gerade erst gestern wieder habe ich von einem gelesen: http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2016-08/pflegeheim-marcus-jogerst-renchen-senioren-wg

    In diesem Sinne: Einmal ganz tief durchatmen und weitermachen 😉

    Wenn wir Dich noch irgendwie unterstützen können, sprich uns gerne erneut an.
  • Hallo,

    ich komme aus der Pflege und habe mein Examen bestanden. Ich kann den Beruf leider nicht mehr ausüben und gehöre nicht zu den Unmotivierten, die das nie wieder machen würden. Ich habe meinen Beruf geliebt - trotz aller Schattenseiten, trotz aller Widrigkeiten. Ich weiß, dass dir die folgenden Zeilen nicht gefallen werden, aber es ist meine Sichtweise.

    Wenn du dich - deinem traurigen Schicksal geschuldet - trotz Therapie (noch) nicht in der Lage siehst einen Mann im Intimbereich zu waschen und zu pflegen, dann bist du für den Ausbildungsberuf nicht geeignet! Es gibt keine Kliniken, wo es nur Patientinnen gibt. Die Arbeitsbedingungen heute sind ungleich härter als zur Zeit meiner Ausbildung. Man ist noch öfter alleine und Alleinverantwortlich auf den Stationen unterwegs. Pflegeheime haben zum Teil noch schlimmere Auswüche des Sparwahns am falschen Ende. Dieser Umstand führt dazu, dass das Konstrukt, was du dir vorstellst so nicht klappen wird und du ganz schnell dir den Vorwurf der gefährlichen Pflege machen lassen müsstest.

    Ich frage dich.... "Was willst du machen, wenn du im Nachtdienst allein auf Station bist und Herr Müller 55 Jahre alt, hat sich von oben bis unten eingekotet?" Die Pflegekräfte der Nachbarstationen hängen auch in den Zimmern fest, einer hat vielleicht noch einen Notfall... Willst du dann allen Ernstes Herrn Müller in der Kacke liegen lassen, bis jemand kommt, der fähig ist ihm den Popo abzuwischen??? Willst du allen Ernstes jedesmal eine Kollegin auftreiben, die für dich die "männliche Drecksarbeit" erledigt??? Willst du jemanden mit Harnverhalt hängen lassen, weil du nicht in der Lage wärst als einzige verfügbare Pflegekraft einen Dauerkatheter zu schieben???

    In deiner jetzigen völlig beschissenen Situation baust du dir ein Luftschloss aus Träumen. Es ist absolut dämlich, wenn Krankheiten, Behinderungen, Schicksalsschläge oder so Idioten, die sich an Kindern vergreifen einem das Leben versauen. Ziele boykottieren und einen eine Leben lang leiden lassen. Du kannst dir das Ziel durchaus im Hinterkopf halten. Es gibt nicht selten Späteinsteiger, die erst mit Mitte 30 die Ausbildung anfangen, aber zum jetzigen Zeitpunkt suche dir eine Alternative. Du kannst im medizinischen Sektor bleiben. Wenn du pfiffig im Umgang mit PC bist, gibt es z. B. die Möglichkeit Medizininformatik zu studieren. Es gibt einige Ausbildungen in dem Bereich, wo du Krankenhausluft schnupperst, aber nicht direkt am Patienten bist. Höre dich um, lass dich beraten. Geh vielleicht der Pflegedienstleitung in einem Krankenhaus in der Nähe auf die Nerven und mach dich schlau, was die sonst noch ausbilden. Klar sind Verwaltungstätigkeiten nicht der Weisheit letzter Knall, aber auch da kannst du unheimlich viel erreichen - auch im sozialen Bereich.

    Ich habe den Beruf schweren Herzens aufgeben müssen, vermisse ihn seit Jahren, bin neidisch auf alle, die ihn noch machen können. Würde mich viel lieber über die beschissenen Arbeitsbedingungen aufregen und versuchen Sie zu ändern. Dank meiner Behinderung ist es aber nicht machbar. Kein Fuß mehr an den Patienten. Ich führe auch meinen Traumberuf nicht aus, weil ich damit meine Gesundheit, die meiner Patienten und die der Umwelt aufs Spiel setze. Ich bin nicht in der Lage bei einem Notfall in einem adäquaten Zeitfenster richtig zu reagieren. Reanimationen würden nur gelingen, wenn ich es schaffe den Passanten am Straßenrand durch Anweisungen so gut anzuleiten, als hätte ich sie selber gemacht. Beatmungen würden damit enden, dass ich daneben liege und als zweiter Notfall dem Notarzt in die Hände falle. Alles keine Sachen, die man sich in der Pflege leisten kann. Was bleibt ist der "verhasste Schreibtisch" und da e-Mail für e-Mail beantworten und mir diese Tätigkeiten schön zu reden, denn alles ist besser als Sofa und Rente mit 38.

    Bau dir eine Zukunft, die dir hilft dein Leben zu leben. Arbeite um zu leben und das mit der Selbstverwirklichung im Job, das lege auf Eis. Vielleicht kannst du nebenher ehrenamtlich tätig werden. Es werden Menschen in Selbsthilfegruppen, in Therapieeinrichtungen gebraucht. Es werden Menschen für die soziale Zuwendung in Altenheimen und Krankenhäusern gebraucht. DAS kannst du mit Sicherheit prima machen. Da bist du gerade wegen der Kindheitserfahrungen nicht das "junge Naivchen", was noch keinen Schimmer von der rauen Welt hat. Da kannst du Höchstleistungen bringen und fällst nicht so auf die Nase, wie, wenn du versuchst dem Traum hinterher zu rennen.

    Jumanji
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