Fernsehsendung über Amputierte und Hightech Prothesen

Am 20. 2. 2015 kommt im NDR Fernsehen um 21.15 der Film Handicap. Der Film "Unter Deutschen Dächern" beschäftigt sich dabei mit den Hightech Prothesen von Otto Bock - sind Hightech Prothesen die Lösung aller Probleme?
http://www.radiobremen.de/fernsehen/unter-deutschen-daechern/bock104.html
http://www.radiobremen.de/unternehmen/presse/fernsehen/udd108.html

Antworten

  • Unterscheidet man zum einen die Symbolwelt, in der wir leben und kommunizieren und zum zweiten die echte, harte, objekt-bezogene Handlungs- und Manipulationswelt, so lassen sich die Fragen recht gut beantworten.

    In der Symbolwelt bedeutet "Armamputation" etwa das Fehlen der äusseren anatomischen Vollständigkeit im Sinne der beduetungshaften Umwertung wenn nicht Abwertung; wer also so eine Voraussetzung an seine Freunde und Kollegen hat, dem wird ein Armamputierter nicht ins Weltbild passen. Wer Handschlag als zwingend in konventioneller Ausführung betrachtet, der wird ohne rechte Hand beim Gegenüber ins nichts greifen. In der Symbolwelt, die heutzutage unseren Alltag gelegentlich dominiert, muss etwa der Mann anatomisch vollständig aussehen um der Frau (visuell, in ihrer Erwartung, dass der Mann "zu allem fähig" auszusehen habe) genügen zu können - hier, in dieser Symbolwelt, gibt es dicht nebeneinander das Gewinnen und das völlige absolute Verlieren. Ich sehe nicht so aus, als ob ich einen Schrank aufstellen könnte (ob ich es wirklich kann ist gar nicht die Frage - es geht ums symbolhafte). Ist man aber in dieser Symbolwelt, die auch u.a. durch Erwing Goffmann ("Stigma") gut beschrieben wurde, einmal abstempelt als Person mit sichtbarer Entstellung, so lässt sich so ein Stempel auch durch die allerbeste Prothese nicht mehr gerade biegen. Man bleibt dann Behinderter, ist dann "Behinderter mit Hilfsmittel". Diejenigen Symbolfans, die jemanden mit Armamputation deswegen sozial massiv aufwerten, weil er sich in Besitz eines neuartigen Gadgetarms befindet, sind vermutlich extrem selten; fürs meiste vermeidet man durch Verwendung eines Wah Wah Ärmlis den symbolhaften sozialen Abstieg eher nicht. Die Symbolwelt, in der man mit Armamputation meist auch bezüglich der Kognition als vermindert gehandelt wird, in der auch die Prothese mit Hook gleich Märchenbedeutung (Captain Hook!) erlangt, hat in sozialen kommunikativen Settings heutzutage recht grosse Bedeutung, ohne dass dies mit effektiver Leistungsfähigkeit (siehe nächster Abschnitt) arg viel zu tun hätte. - Auch die Forschung vermeint sich symbolhaft Goldmedaillen in Anerkennung zu holen, wenn sie "eine Hand" baut - dass deren Tragen und Funktion geradezu massgeblich durch den Schaft bestimmt wird, und dass bei der Schafttechnologie heute (Schäfte und Liner beforschen bedeutet, sich mit Haut, Hautausschlag, Schwitzen, Druckstellen etc. zu beschäftigen - symbolhaft tief bewertet, da mit Testpersonen schwierig und ev. unangenehm) nicht allzu viel läuft, wird gerne übersehen bei den üblichen "medialen Hypes" oder sagen wir "öffentlichen Zurschaustellungsversuchen forscherischen Gutmenschentums". Mein "bionischer" Arm löst wiederholt bei Tragezeiten über etwa 6 Stunden umfassende Druckstellen und Druckblasen am Armstumpf aus, die sehr schmerzhaft sind; dies steht in Kontrast mit der symbolhaften Hoffnung, das Tragen dieses Gerätes "mache mich mehr menschlich" - es verlangt einem das Unterdrücken allzu menschlicher Abwehrreaktionen ab, und das Aufopfern dermatologischer Gesundheit, kurz gesagt. Darin liegt eine symbolhafte Verschränkung, und letzlich auch das konzeptuelle Versagen der gesamten Branche, da spätestens bei Auftreten der Druckblasen das Klaffen der Erwartungen auch symbolhaft "Versagen" als Gesamtbewertung nicht nur beweist sondern irgendwann auch zementiert; man zieht sich darauf meist in die eigene Traumwelt zurück und erzählt allenthalben weiter, wie toll die "Bionischen Arme" heute sind. Der Amputierte mit dem blasigen roten abgeramschten Stumpf ist eh sozial aussen vor, wird also zum Votum nicht mehr befragt, soll einfach wieder antraben "wenns wieder geht". Damt ist auch dieses Problem "behoben", man ist als Befürworter der "Hightech" Prothesen (unter dem man heutzutage vermeint, "elektronische" "bionische" Prothesen verstehen zu müssen, nicht aber etwa materialtechnisch hochwertige Eigenkraftprothesen, denen symbolhaft das Label "hightech" vorenthalten wird) sozusage jedenfalls symbolhaft, wieder "als Gewinn" unterwegs. Auch ist es in der Symbolwelt, wo Otto Normalverbraucher seine abgeschmackten Stereotypien abfeiert, wo "der Amputierte" "trotz" "Technik" "noch" "Schmerzen" und "Diskrimination" "erfährt" - klar, denn im Alltag hat das gar nichts miteinander zu tun, aber, zur realen Welt unten. Die Symbolwelt, in der dann auch gerne die prothetische Handanmutung (was eine bedeutend bessere Umschreibung aktueller Produktversuche unter dem Label "bionisch" oder "hightech" ist, wie ich meine) umhergeschwenkt wird, tut sich derzeit aber schwer mit dem Abschaffen der Diskriminierung.

    In der echten harten Alltagswelt, in der zugepackt werden muss, dort zählt was manuell und manipulativ, bezogen auf mein Handicap jetzt, abgearbeitet wird. Hier geht es nur um echte Greif-, Halte, Stoss- und Tragleistung. Hier gewinnt die Armprothese mit dem Hook, rein technisch, bezogen auf Komfort (ich trage die etwa mit Schlauchgaze, Alpha Gel Linern und einem Pinlock, massiv bequemer und besser als der Massliner aus steifem Silikon für den Myoarm, der mir permanent den Stumpf aufripscht), sicher auch bezogen auf Preis / Leistung, rundum und ohne jede Frage, wenigstens sofern sie richtig gebaut ist. "Bionische" Arme sind hier nirgends anzusiedeln, sie haben in der echten Welt des "Draussen bei - 10 Grad C Arbeitens" genauso wenig wie "bei +30 Grad C 3 Stunden lang Hecke schneiden" was zu suchen, die Schafttechnologie ist hier einfach nicht up to date. Man ist ohne Arprothese gegebenenfalls bedeutend funktioneller - backt man etwa selbst einen Apfelkuchen -als wenn man ein iLimb dazu verwendet. Auch zum seriösen Moutainbiken ist die Verwendung einer Otto Bock Michelangelohand - es gibt da einen nett gemachten Werbefilm - wie ich meine völliger Blödsinn; derzeit jage ich wochenendenweise mein Bike durch vereiste, verschneite und verschlammte Wälder, ich habe Spikereifen drauf (Continental Spike Claw) und ich darf Euch versichern, dass die von mir verwendete Kugelraste ("Mert Hand", der Prothesenadapter von Mert Lawwill) gerade so etwas das wenigste an Robustheit ist, was es dazu braucht, um einigermassen unbeschadet geholzte Schneisen runterzufahren, oder ansonsten diesen Sport gut zu machen; dies bei völlig verschwitztem Arm und eiskalten Temperaturen, wo jeder Elektrodenkontakt, Batterieleistung etc. gar nicht diskutiert werden sollte. In der echten Welt aber, dort wo hart zur Sache gegangen wird, liegen Erfolg und völliges Versagen niemals so dicht beisammen wie in der (oben erläuterten) Symbolwelt; auch mit nur 1 Arm und ohne Prothese fahre ich noch einen Teil der Trails im Winter; auch wenn ich eine schlecht gebaute Armprothese habe, erledige ich das meiste an Arbeiten die ich erledigen sollte.

    Was Schmerzen angeht, ist hier ja die Frage, ob "trotz" Technik "immer noch" Schmerzen da sind. Ich würde es nicht so formulieren. - Denn da ist es so, dass bei mir etwa Durchblutungsstörungen zu blauer und grauer Verfärbung führen, der Arm dann kalt oder auch kaltschweissig ist, und der Stumpfschmerz wie Phantomschmerz stark röhrt. Dies ist etwa der Fall wenn der Arm runterhängt, man keine Prothese oder die falsche anhat, und wenn es kalt ist. Es kommt zu Stauung, dadurch schlechterer Durchblutung und starken Schmerzen. Dem ist gut durch Kompression beizukommen - Bandage, Kompressionsstrumpf, oder enger Prothesenschaft. Geht die Haut zudem dann auch noch etwas drauf - etwa, wenn man sie mit der myoelektrischen ("Hightech") Prothese beschädigt - dann tut der Ausschlag, die Schürfungen oder Blasen gelegentlich so arg weh, dass auch Phantomschmerzen bedeutend mehr weh tun können. Auch das Verletzen sonst, Anschlagen, Aufpflügen der Haut etwa an scharfen Schwimmbadleinen (etwa Modell Wellenkiller mit scharfen Plastikrädern), führt zu ggf. sehr starken Schmerzen. Insofern trägt Hightech durchaus auch zur Schmerzproblematik bei, Hightech ist aber eben nicht gleich Hightech. Zur Vermeidung von Reibungsproblemen trage ich am Eigenkraftarm (von dem Ihr vermutlich glaubt, der sei "Low Tech") eben friktions-vorbeugende Netzstrumpfgewebe, darüber weichen Alphagelliner (würde ich selbst jetzt auch nicht als besonders Lowtech ansehen), und der Schaft (materialtechnisch aus meiner Sicht auch Hightech) ist so eng, dass die Kompression fürs meiste ausreicht, Stauungsprobleme zu reduzieren und diesen Teil der Schmerzen tief zu halten. Auch hilft eine sehr robuste Prothese (mechanisch, bautechnisch und bezüglich Material eben absolutes Hightech in meiner Sicht, aber in der Symbolwelt vorurteilsbeladener Aburteiler wird dies nicht als Hightech anerkannt), bei der Handhabung schwerer Gegenstände den Stumpf zu schützen; trage ich die fragile "Hightech" (wie Ihr das wohl nennt) iLimb, und gilt es dann ein 20 kg Stück zu transportieren, so ziehe ich die Prothese aus, hebe dann die Kiste ins Auto, und beschädige so durch Aufschürfen oder wenigstens starkes Belasten der Haut den Stumpf. So hängt alles eben etwas zusammen. Da wir aber bereits da unterschiedliche Begriffe verwenden, ist die Verständigung erschwert.


    Gestellte Fragen:

    Ist dieser körperliche Perfektionismus nur die Folge unserer Fantasien eines künstlichen Menschen, der unverwundbar und reproduzierbar ist?

    Der von Prothesenherstellern vorangetriebene künstliche Perfektionismus bedient eine Symbolwunschwelt. Dieser hat oft wenig bis keinen realistischen Bezug, und kann daher auch daraus heraus weder verstanden noch erklärt werden.

    Letztlich aber geht es um Geld.

    Wenn man mit Elektromotörli und einigen Spritzgussvorlagen Prothesenarme - etwa diese "bionischen" Wunderprodukte - verkaufen kann, und allen weismacht, dass alle die jetzt anhaben müssten, wird der betreffende Amputierte damit schon nirgends wirklich zur Sache gehen, das Teure Wunderwerk könnte ja Schaden nehmen; neben einer Einnahme von etwa 90 000 Franken für sagen wir so ein Michelangeloärmli kommt es zu vermutlich fast fehlenden Reparaturkosten. Nimmt der Prothesentechniker alleine auf der Hardware 30%, so steppt da erstmal gross der Bär.

    Dagegen schlägt ein Eigenkraftprothesenarm, der aufgrund seiner Funktion und des ganz anderen Anspruchs bedeutend härter rangenommen wird, mit nur 6000 bis 9000 Franken Konstruktionskosten (auch hier nur 30% auf der Hardware für die Techniker) und dann anschliessend häufigen Reparaturen, dass man finanziell als Anbieter jedenfalls kaum vorwärts macht. Und dann gerät man als Anbieter an Kunden, die wirklich harte Belastungen einsetzen, und Schadensliste dann bei mir: 1) nach 3 Sekunden Handgelenk irreversibel verklemmt, Otto Bock Movowrist; 2) nach wenigen Minuten Hand irreversibel verklemmt, Otto Bock 2-Zug Hand; 3) sofort danach Otto Bock Kabelzug irreparabel zerseelt; 4) mit Otto Bock Hooks temperaturabhängiges Verklemmen aufgrund temperaturabhängiger Materialausdehnung; 5) Kabelriss alle 4-10 Tage!!!!!, 6) Otto Bock Handgelenk nach einigen Monaten mit dilatierter Klemmfeder; 7) Otto Bock Bolzen mit Durchmesservariation, der eine hielt nicht mehr, der zweite verklemmte, so dass wir nachgemessen haben, 8 ) eine darauf folgende derart aussichtlose Kommunikation mit dem Kundendienst Otto Bock derart, dass wir beschlossen, unser eigenes Handgelenk / Adapter zu bauen.

    Insgesamt fehlt vielleicht eine Art Skala, auf der Belastungen gemessen und passende Prothesenteile so ausgesucht werden können, dass es am Ende keine Tränen gibt. Ich hätte ja selbst nie mit wirklich unbelastbarem Zeugs angefangen, gar nie - dass man dann aneinandergerät, und die Prothesenteile zerspringen, sofort kaputt gehen, usw. deutet vor allem darauf, dass sie für meinen Bedarf ungeeignet sind, nicht, dass sie grundsätzlich keine Daseins-Berechtigung haben. Wenn aber ein grosser deutscher Hersteller "Quality for Life" anpreist und bei den Preisen die Hand arg aufmacht, dann ist der Anspruch ein anderer, als wenn die Teile mit "zerbrechlich" gekennzeichnet und erschwinglich sind, und da liegt schon ein gewisses Spannungsfeld. Gesetzt den Fall es würden in Fernost billigst gefertigte Bolzen ohne jede weitere Qualitätskontrolle für 3 Euro das Stück gefertigt und für 80 Euro weiterverkauft, so würde das etwa durchaus von mir festgestellte Mängel erklären, ohne aber dass die Symbolik "Quality for Life" damit gerettet wäre, oder, ich damit eine mir zustehende Entschuldigung für technisches Herumpatzen erhalten hätte. Dann hinzugehen und das Label "Hightech" allzu grossartig herumzuschwenken ist angesichts meiner Erfahrungen dann zwar starker Tabak. Aber, wir wollen hoffen, dass inzwischen Alles Besser Ist. Warum also solche Technik Schmerzen und Diskriminierung nicht beheben, wäre daher effektiv die Frage, eine Frage auch an Radio Eriwan.

    Im Grunde sind Armprothesen, wie sie so gewisse grosse deutsche Hersteller anbieten, gar nicht für den wirklich harten Einsatz konzipiert. Sie haben offenbar weitgehend symbolischen Charakter. Trägt man sowas mal am Arm, merkt man recht rasch, was Sache ist. Von Unverwundbarkeit redet kein Mensch - aber wenigstens ein servicefreies Intervall von 9-12 Monaten unter Vollbelastung (d.h., was ich drunter verstehe) einer Armprothese muss drinliegen, und mit eigenen Entwicklungen sind wir in der Zwischenzeit so weit, dass ich sowas auch tragen kann. Das macht, was die reale Lebensqualität angeht (Rückenschmerzen, Schulterprobleme, etc.), einen doch sehr grossen Unterschied. Es wird behauptet, die "modernen Prothesen" seien "Hightech" - dies lässt völlig ausser acht, dass mein Kabelzugarm extrem Hightech ist und ausserdem einige sehr klevere mechanische Grundlagen aufweist. Damit bewegt man sich sehr weit weg von der "bionischen" Prothese, und ist mitten im Material-Hightech, was aber ein anderes Thema ist.

    Die Haut wird bei mir durch Tubegauze / Netzstrumpf vor Reibungsausschlag geschützt. Darüber befindet sich der Alpha Gelliner, ein Produkt, das Formanpassungen durch Hitze erlaubt, und extrem bequem und satt sitzt. Der Schaft ist aus Karbonfaser und lässt den Ellbogen frei. Das Handgelenk haben wir selber gebaut, dieses ist aus gehärtetem Ramax Haltestahl und weist inzwischen patentierte Formeigenschaften auf, welche übelst ausbaldowert sind; das Ding übersteht tausende harte Schläge am Tag wackelfrei wartungsfrei über Jahre; allerdings ist es auch erlaubt das Teil zwischendurch mal grundreinigen zu lassen. Der Kabelzug ist modular, rasch austauschbar und reparierbar, und weist vorgefettete Kabelhüllen und oberarmfreie Aufhängung auf und kann innert kurzer Zeit auch 1-händig ausgetauscht / repariert werden. Der Schulteranker ist breit, drückt ausschliesslich auf Schulterstellen ohne darunterliegende Nervenbündel. Insgesamt ist mein Prothesenarm von der Art Hightech vergleichbar mit einem 6 kg schweren Carbonfahrrad mit zukunftsvisionären Shimanoschalt- und bremsanlagen; da würde auch niemand von fehlender "Hightech" reden, doch irgendwie rennt ja heutzutage alles den Elektroarmen hinterher. Solange es nicht mein Rücken ist, der sich da verbiegt und mein (anderer) Arm, der aus Überlastung aus dem Leim geht (das ist eher so das, wo ich aus präventiver Sicht bei mir wirklich ein Auge drauf habe), sollen die doch da rumbasteln, verkaufen und verrechnen was sie wollen. Es ist auch eine Frage des Anspruchs, was soll es denn sein, wo geht jemand hin, will man in einer Symbolwelt der Herrenklasse mit einem "Jagdarm" triumphieren (so das denn geht), oder soll nur der Fussboden gesaugt werden, soll schwer gearbeitet werden oder genügt es, an einer Stehparty dünnglasige Trinkgefässe zu halten.


    Sind Prothesen, die den Körper 1:1 kopieren die richtige Lösung?

    "Die" richtige Lösung gibt es nicht.

    Es geht letzlich zum einen darum, im sozialen Miteinander Wege zu finden, die allen passen. Da recht viele Leute den Umgang mit Personen mit sichtbar entstellten Körpern meiden, reduziert dies auch meiner Sicht den Kreis der in Frage kommenden Leute durchaus, ggf. beträchtlich. Hier helfen Prothesen nicht oder wenig, da sie das Grundproblem der Behinderung nicht wirklich beseitigen. Das Stigma bleibt. Hat man das mal begriffen, kann man andere, bessere, Fragen stellen als diese Art Fragen.

    Zum zweiten geht es darum, echte manuelle Probleme echt zu lösen. Hier steht bei meinem Handicap mit einem amputierten Arm jedenfalls Asymmetrie (Rücken, Nacken, Schultern) und Ueberlastung klar im Vordergrund; somit ist diejenige Prothese, die das Rennen hier macht, klar die extrem bequeme und leichte, extrem robuste, die gerade (wenn nicht nur) für harte, repetitive und bimanuelle Aufgaben geeignet und ausgelegt ist - denn diese tragen bei der Asymmetrie und Ueberlastung besonders dick auf. Nur zum eitel Händchen schwenken braucht man keine Prothese und was das nackte Anpacken angeht, da muss das auch wirklich funktionieren.

    Was nun gerade Sport, Arbeit und körperliche Betätigung angeht, ist die Funktion mehr als die Form massgeblich; insofern ist die Frage der 1:1 Kopie des Körpers, der ja u.a. Anmutung, Form und Funktion vereint, zu ungenau gestellt.

    Wie weit führt die Technik einen körperlich behinderten Menschen wieder zurück in die vermeintlich gesunde Gesellschaft?

    Sozial gesehen sind ganz andere Faktoren als diese Technologie massgeblich.

    Aber durch z.B. eine Prothese erlangte Funktionen, die zur verbesserten Teilnahme an Aktivitäten führen, sind sehr wichtig. Hier zu erwähnen meine Skifahrprothese mit Skistockaufsatz und elektrischer Heizung (keine 1:1 Kopie des menschlichen Körpers) oder meine Fahrrad-Hand (Mert Hand, auch recht wenig 1:1 Kopie), die mir erlaubt, mit anderen diesen Sport auszuüben, extrem wichtig auch für die soziale Integration.

    Die etwas eitlere Bussibussisociety aber kann mit sichtbar Behinderten üblicherweise wenig bis nichts anfangen, und derartige Kontakte erledigen sich aus meiner Erfahrung grundsätzlich von selbst; sich dort anzustellen ist, meine ich, Verschwendung von Zeit und Energie.

    Versicherungen sehen dies beispielsweise nicht. Eher wird ein (in fast jeder Hinsicht wenig brauchbares) "bionisches" Handprodukt bezahlt, da man den Werbebehauptungen glaubt, als dass sie ein einfaches Teil für Fahrrad, Ski, Kraftraum etc. bezahlen. Das ist insofern interessant, als für bedeutend weniger Geld bedeutend mehr effektive Integration und auch orthopädisch begründete Gesundheit gekauft werden könnte.

    Ein "bionischer" Arm heutzutage führt einen nur insofern zurück in die vermeintliche Gesellschaft, als er symbolhaft vermittelt, dass er gleichzeitig teuer und ein Gadget ist. In den allerwenigsten Situationen sind es genau diese Dinge, welche den Ausschlag geben. Man schliesst ja üblicherweise auch nicht erst dann mit anderen Leuten Freundschaft, wenn sie sich endlich ein bestimmtes Luxusprodukt (wie etwa einen bestimmten Fernseher) gekauft haben.

    Im Grunde wird medial, prothesentechnisch, akademisch forscherisch und behindertenspezifisch jeweils auf eher eigenen Planeten gesegelt, insbesondere was die Werte und Vorstellungen angeht. Die Schnittmenge ist zwar gelegentlich da, aber sie ist meist klein. Die oben gestellten Fragen deuten darauf, dass aus der Symbolwelt heraus gefragt wird, und in dieser Symbolwelt hat man "eh verloren", ist man "eh abgestempelt". So steht denn am Ende auch der Trübsal blasende Satz "Und trotz aller Technik bedeutet ein Leben mit der Prothese immer noch ein Leben mit Schmerzen und Diskriminierung". Welch Denke. Wie wenn Technik, Diskriminierung und Schmerzfreiheit was miteinander zu tun hätten. Ich kann etwa mein Fahrrad auch für Linkshandbetrieb umbauen, ohne dazu (für den Umbau) irgendeine Prothese zu tragen. Ich kann allerbestens ohne jede Prothese in Kino, an Feste, Essen zubereiten und Kochen, Kuchen backen, ausgehen, Teilnehmen etc. Wo kommt bloss die Idee her, das sei anders. Klar, wenn ich zu Hause ein Deckenlüfter zusammenbaue und montiere ist so eine Armprothese wirklich praktisch (aber es gelang auch schon ohne).


    Zuunterst weisen diese Trouvaillen des Radio Bremen - vielen Dank für die Links - noch diese witzige Verirrung auf:

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    Technikfantasien

    Ist dieser körperliche Perfektionismus nur die Folge unserer Fantasien eines künstlichen Menschen, der unverwundbar und reproduzierbar ist?

    Sind Prothesen, die den Körper 1:1 kopieren die richtige Lösung?

    Wie weit führt die Technik einen körperlich behinderten Menschen wieder zurück in die vermeintlich gesunde Gesellschaft?

    Ihre Meinung ist gefragt!

    Haben Sie Fragen oder Anmerkungen an das Team, dann kommen Sie im Logbuch zur Folge Hochzeitsausstatter mit uns Gespräch oder folgen Sie uns bei Facebook und Twitter.

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    Zum Thema Amputation muss man nicht bis unten lesen, die merken das alle eh nicht ; )

    Der Verschreiber aber ist insofern auch ganz lustig, als ich tatsächlich vor einiger Zeit mal den Stilpapst Jeroen Van Rooijen zur Frage Armprothese und Hochzeitsgast angefragt hatte. Hier der Link dazu:

    http://hatdasstil.blog.nzz.ch/2013/06/14/welche-handprothese-zum-hochzeitsanzug-2/

    Der Tip der Monestierhand war von mir, aber der Artikel kam so eben sehr nett raus.
  • Lieber Swisswuff

    Zuerst muss ich gestehen das ich deinen Beitrag ;nur; diagonal gelesen habe , er ist einfach ein wenig lange . Dann zu dem Herrn van Rojen , der erstaunlich viel FINGERSPITZEN Gefühl hat . Ansonsten mag ich den nicht so wenn er auf Radio srf Quatscht was man anziehen oder nicht anziehen soll . Ich würde auch in einem Blaumann zu einer Hochzeit gehen , mit einer Nelke in der Brusttasche sieht auch das nett aus . Bei dir bin ich mir hingegen sicher das du keine krummen Geschäfte machst weil ja nicht die eine Hand die andre wäscht . Wie wäre es statt mit einer Goldhand mit etwas Zombi ähnlichen , nur so um den Leuten zu zeigen wie sie uns angaffen ?
    Und zur guten Letzt kann ich dir sagen das es genauso doof ist eine Nicht sichtbare Behinderung zu haben wie eine sichtbare .
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