Ich
MyHandicap User
✭✭✭
in Plauderecke
Hi,
mit irgend einer google-Suche bin ich hier gelandet, als es mir vorgestern wieder mal etwas schlechter ging. Lösung habe ich hier zwar nicht gefunden, bin aber erstmal hängen geblieben.
Ich habe einen leichten Asperger, 1968 geboren, bin funktional und da ich noch einen relativ hohen IQ habe und an Lösungen orientiert bin, habe ich schon frühzeitig meinen Weg durchs Leben gefunden. Auch wenn ich erst vor drei Jahren meiner besonderen Begabung wirklich bewusst geworden bin (und so sehe ich Asperger tatsächlich) und so mein Leben noch besser meistern konnte, hatte ich schon frühzeitig Glück gehabt, denn meine Eltern haben instinktiv eine Menge richtig gemacht, auch wenn sie davon keine Ahnung haben (und heute auch nichts davon wissen).
Ich bin mit einem eindeutigem Satz an Regeln und Routinen aufgewachsen, angefangen vom 07:00 Uhr Aufstehen, 07:15 Frühstück, 08:00 Uhr Schule, danach Mittagessen, Hausaufgaben, Spielen bis 18:00 Uhr Sandmännchen, 19:00 Uhr ins Bett über absolut geregelte Essenszeiten, Donnerstags wird das Zimmer aufgeräumt, Samstags wird gebadet, Sonntags gehts in die Kirche und einem ethisch hochstehenden Satz von Regel à la "das tut man - das tut man nicht".
Fängt zum Beispiel an auf dem Niveau "Guck den Leuten in die Augen, wenn Du mit ihnen sprichst." und "Jeder, der vor dem Haus vorbeigeht, wird gegrüßt". Respekt gegenüber anderen gehört als Regel ebenfalls dazu. Regeln sind etwas, was mein Leben zusammenhält. Wenn ich nachhause komme, wandert der Inhalt meiner Taschen immer in eine festgelegte Schüssel, wenn ich die Wohnung verlasse, halte ich immer den Wohnungsschlüssel in der Hand. Ordnung sorgt dafür, nicht zu viel nachdenken zu müssen.
Wirklich, ich hatte Glück damit. Spätestens ab 14 Jahren fingen die Sachen aber schief zu laufen, typisches pubertierendes Verhalten (begleitend zur körperlichen Entwicklung) fand nicht statt, stattdessen ein Rückzug in die Welt der Bits und Bytes und ich war besser drauf, wenn man mich alleine ließ. Als ich mir mit 15 meinen ersten Computer kaufte, hatte ich am selben Abend schon ein vektororientiertes Grafikprogramm darauf programmiert, bevor ich ins Bett ging.
Als dann mit 19 Jahren der Rahmen wegfiel, den die Schule für mich bedeutete und Universität anstand, konnte ich mit der Freiheit nicht viel anfangen. Sich mit 300 anderen Studenten in einen Raum zu quetschen, ist für einen Asperger nichts. Also war ich mehr vor meinem PC als in einem Lehrsaal.
In Richtung privater Beziehung lief auch nichts ab, da kam es zur ersten Krise mit Hilfeersuchen an Ärzten, Psychologen und Psychiater. Geholfen hat das nichts und eine dreimonatige sozialtherapeutische Kur lehnte ich damals ab (glaube aber, ich hätte es nicht tun sollen, da ich hier schon eine Diagnose hätte bekommen können).
Anschließend habe ich mich "durchgewurschtelt" bis heute. Besonders belastend ist, dass ich alles mit dem Kopf machen muss, wozu andere den Bauch einsetzen können. Dadurch bin ich im Erkennen mancher Signale zwar besser geworden (weil ich es eben bewußt machen muss und dementsprechend trainiert bin), aber wer es weiß, kann mich anschwindeln ohne Ende.
Trotzdem: das macht müde und wenn es gerade nicht so gut läuft, kommt der Asperger ganz schnell wieder nach vorne und ich werde sozial unverträglich. Kaum einer von den Normalos versteht, wie anstrengend das ist, aber bei mir in der Firma haben die Leute gelernt (wissen tut es nur einer), dass ein "Raus aus meinem Büro!" der beste und freundschaftlichste Rat von mir ist, den er von mir an diesem Tag bekommen kann.
Postitiv ist, dass es kaum jemanden gibt, der (im Richtung IT) schneller Dinge zum funktionieren bekommt als ich, selbst auf völlig unbekanntem Gebiet. Mir genügt ein Stichwort und Google und kurze Zeit später gibt es etwas neues im Netzwerk oder als Programm oder als Arbeitsablauf. Es sieht nicht hübsch aus, aber funktional. Ich habe gute Fähigkeiten zum Improvisieren und mit den antrainierten sozialen Fähigkeiten habe ich es immerhin geschafft, jetzt geschäftsführender Gesellschafter eines kleinen Unternehmens zu sein. Ich bin für 30 Leute verantwortlich.
Trotzdem bin ich gerade nicht glücklich und meine momentane Krise besteht darin: ich möchte das Unternehmen verlassen, aber meine Loyalität lässt mich nicht, was sich auf Bewerbungsgespräche massiv auswirkt - denn wenn man nicht wirklich gehen will, dann merken die anderen das, insbesondere wenn ich Asperger habe. Eine falsche Frage gestellt, eine (echt) ehrliche Antwort rausgerutscht und dann wars mal wieder "Danke, wir melden uns."
In so einer Situation rächt sich dann, dass man nicht wirklich lügen kann 😀 Aber schätzen tut das kaum jemand. Damit habe ich mich arrangiert und irgendwo wird sich ein Weg finden und wenn ich mich komplett selbständig mache und mein eigenes Ding durchziehe.
Soviel von mir. Da ich nicht einschätzen kann, was Euch interessiert, einfach fragen. So direkt wie möglich, nicht hinten herum etwas erfahren wollen, weil man sich vorne herum schämt, die Frage zu stellen. Da muss ich immer wieder sagen: Ich habe Asperger, mir ist es egal, was Du von mir denkst, also nutze das 😀
Peter.
mit irgend einer google-Suche bin ich hier gelandet, als es mir vorgestern wieder mal etwas schlechter ging. Lösung habe ich hier zwar nicht gefunden, bin aber erstmal hängen geblieben.
Ich habe einen leichten Asperger, 1968 geboren, bin funktional und da ich noch einen relativ hohen IQ habe und an Lösungen orientiert bin, habe ich schon frühzeitig meinen Weg durchs Leben gefunden. Auch wenn ich erst vor drei Jahren meiner besonderen Begabung wirklich bewusst geworden bin (und so sehe ich Asperger tatsächlich) und so mein Leben noch besser meistern konnte, hatte ich schon frühzeitig Glück gehabt, denn meine Eltern haben instinktiv eine Menge richtig gemacht, auch wenn sie davon keine Ahnung haben (und heute auch nichts davon wissen).
Ich bin mit einem eindeutigem Satz an Regeln und Routinen aufgewachsen, angefangen vom 07:00 Uhr Aufstehen, 07:15 Frühstück, 08:00 Uhr Schule, danach Mittagessen, Hausaufgaben, Spielen bis 18:00 Uhr Sandmännchen, 19:00 Uhr ins Bett über absolut geregelte Essenszeiten, Donnerstags wird das Zimmer aufgeräumt, Samstags wird gebadet, Sonntags gehts in die Kirche und einem ethisch hochstehenden Satz von Regel à la "das tut man - das tut man nicht".
Fängt zum Beispiel an auf dem Niveau "Guck den Leuten in die Augen, wenn Du mit ihnen sprichst." und "Jeder, der vor dem Haus vorbeigeht, wird gegrüßt". Respekt gegenüber anderen gehört als Regel ebenfalls dazu. Regeln sind etwas, was mein Leben zusammenhält. Wenn ich nachhause komme, wandert der Inhalt meiner Taschen immer in eine festgelegte Schüssel, wenn ich die Wohnung verlasse, halte ich immer den Wohnungsschlüssel in der Hand. Ordnung sorgt dafür, nicht zu viel nachdenken zu müssen.
Wirklich, ich hatte Glück damit. Spätestens ab 14 Jahren fingen die Sachen aber schief zu laufen, typisches pubertierendes Verhalten (begleitend zur körperlichen Entwicklung) fand nicht statt, stattdessen ein Rückzug in die Welt der Bits und Bytes und ich war besser drauf, wenn man mich alleine ließ. Als ich mir mit 15 meinen ersten Computer kaufte, hatte ich am selben Abend schon ein vektororientiertes Grafikprogramm darauf programmiert, bevor ich ins Bett ging.
Als dann mit 19 Jahren der Rahmen wegfiel, den die Schule für mich bedeutete und Universität anstand, konnte ich mit der Freiheit nicht viel anfangen. Sich mit 300 anderen Studenten in einen Raum zu quetschen, ist für einen Asperger nichts. Also war ich mehr vor meinem PC als in einem Lehrsaal.
In Richtung privater Beziehung lief auch nichts ab, da kam es zur ersten Krise mit Hilfeersuchen an Ärzten, Psychologen und Psychiater. Geholfen hat das nichts und eine dreimonatige sozialtherapeutische Kur lehnte ich damals ab (glaube aber, ich hätte es nicht tun sollen, da ich hier schon eine Diagnose hätte bekommen können).
Anschließend habe ich mich "durchgewurschtelt" bis heute. Besonders belastend ist, dass ich alles mit dem Kopf machen muss, wozu andere den Bauch einsetzen können. Dadurch bin ich im Erkennen mancher Signale zwar besser geworden (weil ich es eben bewußt machen muss und dementsprechend trainiert bin), aber wer es weiß, kann mich anschwindeln ohne Ende.
Trotzdem: das macht müde und wenn es gerade nicht so gut läuft, kommt der Asperger ganz schnell wieder nach vorne und ich werde sozial unverträglich. Kaum einer von den Normalos versteht, wie anstrengend das ist, aber bei mir in der Firma haben die Leute gelernt (wissen tut es nur einer), dass ein "Raus aus meinem Büro!" der beste und freundschaftlichste Rat von mir ist, den er von mir an diesem Tag bekommen kann.
Postitiv ist, dass es kaum jemanden gibt, der (im Richtung IT) schneller Dinge zum funktionieren bekommt als ich, selbst auf völlig unbekanntem Gebiet. Mir genügt ein Stichwort und Google und kurze Zeit später gibt es etwas neues im Netzwerk oder als Programm oder als Arbeitsablauf. Es sieht nicht hübsch aus, aber funktional. Ich habe gute Fähigkeiten zum Improvisieren und mit den antrainierten sozialen Fähigkeiten habe ich es immerhin geschafft, jetzt geschäftsführender Gesellschafter eines kleinen Unternehmens zu sein. Ich bin für 30 Leute verantwortlich.
Trotzdem bin ich gerade nicht glücklich und meine momentane Krise besteht darin: ich möchte das Unternehmen verlassen, aber meine Loyalität lässt mich nicht, was sich auf Bewerbungsgespräche massiv auswirkt - denn wenn man nicht wirklich gehen will, dann merken die anderen das, insbesondere wenn ich Asperger habe. Eine falsche Frage gestellt, eine (echt) ehrliche Antwort rausgerutscht und dann wars mal wieder "Danke, wir melden uns."
In so einer Situation rächt sich dann, dass man nicht wirklich lügen kann 😀 Aber schätzen tut das kaum jemand. Damit habe ich mich arrangiert und irgendwo wird sich ein Weg finden und wenn ich mich komplett selbständig mache und mein eigenes Ding durchziehe.
Soviel von mir. Da ich nicht einschätzen kann, was Euch interessiert, einfach fragen. So direkt wie möglich, nicht hinten herum etwas erfahren wollen, weil man sich vorne herum schämt, die Frage zu stellen. Da muss ich immer wieder sagen: Ich habe Asperger, mir ist es egal, was Du von mir denkst, also nutze das 😀
Peter.
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Antworten
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Hallo Peter,
Fragen habe ich keine, deshalb einfach erst mal ein
"Willkommen" 😃
von Asperger an Asperger.
Daniya
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Hallo Peter,
auch an dieser Stelle noch einmal herzlich willkommen in der Community. Schön, dass Du MyHandicap gefunden hast.
Bei Fragen wende Dich gern jederzeit an mich oder meine Kollegen oder die Community. Wir wünschen Dir viel Spaß und eine interessante Zeit in der Community von MyHandicap!
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