Was wurde empfohlen: Gebärdensprache oder Lautsprache?

Hallo liebe Gehörlose und Schwerhörige

Ich würde gerne wissen, was euren Eltern bei eurer Geburt von Ärzten etc gesagt wurde. Gebärdensprache oder Lautsprache? (auch PMs sind natürlich erwünscht)

Ich erlebe es häufig, dass Eltern von gehörlosen Kindern immer noch gesagt bekommen, man solle dem Kind auf keinen Fall Gebärdensprache lehren, weil es sonst nie sprechen lernen würde. Dabei gibt es wissenschaftliche Untersuchungen (z.B. von Prillwitz), dass es genau umgekehrt ist, dass die Gebärdensprache bei Lautspracherwerbung nur förderlich ist.

Ich würde gerne Unterschriften sammeln und diese Ärtzen vorlegen, damit sie endlich aufhören, diese falschen Sachen den frischgebackenen Eltern zu erzählen. Bevor ich das aber mache, würde ich gerne mal schauen, wie es inzwischen überhaupt aussieht.

Also: Wurde bei eurer Geburt, oder der eures gehörlosen/schwerhörigen Kindes von der Gebärdensprache abgeraten oder nicht?

Danke und liebe Grüsse
Laure

Antworten

  • Sali Laure

    Ich habe zu diesem Thema meine Bachelorarbeit geschrieben und dafür Eltern genau dazu befragt. Bei den Eltern mit schon älteren Kindern wurde ganz klar noch von der GS abgeraten (und im gleichen Atemzug wird dringenst das CI empfohlen). In den meisten Spitälern ist das leider immer noch so, allerdings lässt sich eine Verbesserung erkennen. Ich schicke dir die Ergebnisse gerne mal zu (halt anonymisiert) oder auch gleich meine Arbeit dazu.

    Eine solche Initiative sollte man sicher auch mit dem SGB zusammen machen, ich halte es für eine sehr sinnvolle Aktion.
    Beim Ostschweizerischen Verein für das Kind (OvK) liegen im Wartezimmer übrigens Brochuren auf, die über die GS aufklären.

    Bin gespannt auf die Antworten der anderen User!

    Liebe Grüsse


  • Hallo deaf Mami,

    Ich bin zwar nicht gehörlos sondern körperbehindert, habe aber außer meinem Soz. Päd. Studium noch ein nicht ganz abgeschlossenes Studium der Sonderpädagogik MA/Sprachbehindertenpäd.
    Erstens ist die Gebärdensprache als eigene Sprachform international anerkannt.
    Zweitens unser Dozent Dr. Friederich Michael Dannenbauer hat immer dafür plädiert Laut- und Gebärdensprache gleichwertig gelten zu lassen.
    Er hat immer die Ansicht vertreten, daß wenn es möglich ist, beide Sprachformen so nah beeinander wie möglich erlernen zu lassen, weil das den gesamten Spracherwerb nachhaltig fördert.
    Ähnlich wie beim Spracherwerb der Hörenden mit Muttersprache Deutsch und Englisch entwickeln sich beide Sprachen besser, wenn in der Gehirnregion L1 für Deutsch und L2 für Englisch sich beide Sprachen so dicht nebeneinander wie möglich entwickeln können.
    Weit deutlicher zeigt sich das bei Kindern, gemischt sprachlicher Eltern, wo sich z.B Deutsch und Englisch gleichzeitig entwickeln. Diese Kinder trennen zwar nicht mehr ganz bewußt zwischen L1 und L2,-wobei natürlich in diesem Fall die Sprache des Landes wo es aufwächst immer ein leichtes Übergewicht haben wird- aber dafür haben solche Kinder später einen größeren Speicher für Wortschatz und Grammatik beider Sprachen, da durch das Überschneiden größere Kapazitäten in der Sprachregion des Gehirns übrig sind.
    Auch fällt das Einführen der Lautsprache leichter je jünger das Kind ist. Allgemein steht das Sprachfenster des menschlichen Gehirns mit Eintritt der Pubertät spätestens mit 14 still. Richtiger Spracherwerb oder auch eine weitere Fremdsprache wird dann nur noch sehr schwer und äußerst unvollständig erlernt.

    Fazit:
    Wenn man Gebärdensprache als L1 sieht und Lautsprache als L2 ist der Idealfal für den gesamten Spracherwerb so nah beienander als möglich. So bleiben später, wenn Englisch erlernt werden muß mehr Kapazitäten für sozusagen L3 übrig.
    Was das Cochlear implantat betrifft so wird von vielen Betroffenen, aber auch manchen Experten, ab einem bestimmtem Alter davon abgesehen, es unbedingt einzuführen, da die Überlagerungen der Sprachwahrnehmung tatsächliche Geräusche und Gebärdensprache auch überfordern können.
    Zudem ist es so, daß wenn nie gehört worden ist sich die Vernetzungen im Gehirn für den Empfang und die Verarbeitung der Lautsprache zurückkgebildet haben.
    Besser gesagt das Gehirn hat eine Fähigkeit zurückgebildet, um dafür die Kapazitäten für das Erlernen der Gebärdensprache freizumachen. (Plastizität des Gehirns)
    Ab der Pubertät läßt sich da auch bedingt durch das erwähnte Sprachfenster immer schwerer noch was umstellen.

    Genügend Betroffene wollen auch bewußt in ihrer Sprachwelt bleiben.
    In den USA hat sich ein ganzer Gehörlosenverband eines Bundesstates bewußt so entschieden.

    Gruß

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