Wie habt ihr die Schulzeit erlebt?

Hallo liebe User,

ich recherchiere aktuell für einen Artikel über die Integration von Kindern mit Behinderung in die Regelschule. Auf diesem Sektor hat sich ja zum Glück in den letzten Jahr(zehnten) einiges verändert.
Mich würde interessieren, diejenigen von euch, die schon als Kind ein Handicap hatten, wie habt ihr die Schulzeit erlebt?
Wart ihr in einer Regelschule? Inwieweit seid ihr unterstützt worden?
Wie ist es euch mit den Mitschülern ergangen? Wart ihr wirklich integriert?
Wäre spannend, was ihr über eure Erfahrungen berichtet.

Viele liebe Grüße von
Michaela

Antworten

  • Hallo Michaela,

    ich war wegen meiner Epelesie auf einer Sonderschule für Lernbehinderte. Ich bin erst mit 7 eingeschult worden (bin im Juni geboren), und dann gleich in die 3. Klasse, weil es damals 1970 noch keine erste und zweite Klasse gab. Ich habe dann auch prompt eine Ehrenrunde gedreht. 2x im Jahr mußte ich zur EEG-Kontrolle nach Hannover in die MHH, an den Terminen wurden keine Arbeiten geschrieben, diese Termine habe ich immer gleich wieder für das nächste mal mitbekommen. Also konnten sich die Lehrer darauf einstellen. Wie das halt so in Klassen ist, jeder hat so seine Leute gehabt, mit denen man die Pausen und die Freizeit verbracht hat. Allerdings wohnten viele aus meiner Klasse in einem anderen Stadtteil als ich, das ich mit denen dann nichts gemeinsam machen konnte, trotz ÖPNV. Im November 1977 bin ich dann ins Krankenhaus gekommen, wegen meiner beidseitigen Hüft-OP, war bis ca. April 1978 nicht in der Schule. Es kamen Genesungswünsche der Klasse, mit einem kleinen Weihnachtsgeschenk. Ich bin damals in Hannover im Annastift operiert worden, wo es eine Krankenhausschule gibt. Da hat man direkt im Bett Unterricht. Die Lehrer von meiner Heimatschule haben meinen Eltern die Unterlagen auch artig mitgegeben. Teilweise wurden wir zu zweit oder zu dritt gleichzeitig unterrichtet, teilweise gabs Einzelunterricht, je nach Fach und Alter. Wir lagen in einem Zimmer mit 7 Leuten, eine Türkin (damals wie ich 14), eine Jugoslawin (damals ca. 9/10) deren Vater sogar in der Handballnationalmannschaft mitgespielt hat, also auch im Krankenhaus schon Multi-kulti, der Rest war im Alter von 9 bis 14 Jahren.

    Dadurch das ich im Krankenhaus Schulunterricht hatte, mußte ich Gott sei Dank nicht eine Klasse tiefer eingegliedert werden, sondern konnte ich meine alte Klasse zurück. Die Klasse ein Jahrgang unter meiner war eine Chaosklasse, viele Schulschwänzer, Mädels und Jungs die damals schon mit 10, 11 Jahren das Rauchen angefangen hatten etc...
    Ich durfte einige Wochen keinen Sportunterricht mitmachen, durfte dann halt früher nach Hause, weil die 2 Sportstunden am Ende des Tages lagen. Es gab kein murren, so nach dem Motto: Oh hat die es gut.

    Wir waren damals an der Pestalozzischule in Langenhagen (bei Hannover) die erste Klasse, die an dieser Sonderschule ein Jahr dranhängten und dann mit der 10. Klasse den Hauptschulabschluß bekommen haben, was ja damals auch nicht üblich war. Alles in allem blicke ich gerne auf die Schulzeit zurück, habe aber fast keinen Kontakt mehr zu meinen ehemaligen Klassenkameraden, da ich ja jetzt nicht mehr in Langenhagen wohne, sondern in Glinde (Schleswig-Holstein). Einige dieser sind bei Stay-Friends angemeldet, da muß ich mich mal wieder Blicken lassen.
  • Hallo Michaela,

    zählen "nur" sichtbare körperliche Behinderungen (Also Rollifahrer, Blindheit,...), oder auch die F- Diagnosen?
    Darf man auch "anonym" also per PM Stellung beziehen?

    LG
    Cookie
  • Hallo!

    Delphisanne - danke für deine ausführliche Antwort!
    Cookie und alle anderen:
    Ja, bitte schreibt mir gerne auch per PM!
    Und ja - natürlich sind alle Arten von Behinderungen im Zusammenhang mit euren Schulerfahrungen gefragt.
    Ich würde mich sehr über Erzählungen über eure Schulerfahrungen freun.
    Falls ich ein Statement etc für meinen Artikel verwende, gebe ich euch klarerweise Bescheid und anonymisiere alles.

    Habt einen schönen Abend und ein erholsames Wochenende
    Michaela




  • Hallo!

    Ist ein interressantes Thema!

    Da ich 1956 zur Welt kam und das auch noch Unehelich und mein Vater Russe war und bek.Künstler( Schauspieler,Sänger,Schriftsteller) war das bereits Behinderung genug.

    Man hat sich zur Aufgabe gemacht mich zu einem anständigen Menschen zu erziehen.
    Eine Lehrerin nahm mich in der ersten Klasse mal an die Hand,weil ich zu spät war.

    Meine Mutter war bereits zur Arbeit und ich hatte verschlafen.

    Sie führte mich von Klasse zur Klasse und zeigte den anderen Schülern,wie ein Russenbangert der unehelich zur Welt gekommen ist ausschaut.

    Ich werde diese Situation mit vielen anderen immer mit mir tragen.
    Gruß
    SENDRINE 😀
  • Hallo Michaela

    Interessantes Thema, ich bin aus eigener Erfahrung absoluter Befürworter, daß Behinderte sofern irgendwie möglich in Regelschulen eingeschult werden.
    Ende der 70er war ich an einem Technischen Gymnasium 11. Klasse. Samstags hatten wir die letzte Klassenarbeit der 11ten geschrieben, montags ging es dann an Baggersee. Naja das Wetter war schön, aber dabei bin mich zu meiner Querschnittlähmung gekommen. Die Perspektive beim Bruch des 5ten Halswirbel sah so aus: Pflegeabhängigkeit, möglicherweise kann ich Auto fahren, mangels Armkraft kann ich keinesfalls vom Auto alleine in den Rollstuhl übersetzten, Übersetzten selbst auf eine behindertengerechte Toilette ist ebenfalls nicht alleine möglich. Nachdem ich dies so einigermaßen verdaut habe, habe ich nach 3-4 Wochen meinen ersten Wunsch in Richtung Zukunft geäußert- Ich will mein Abitur machen, und zwar auf meiner alten Schule! Eine Schule ohne behindertengerechte Toilette, ohne Aufzug dafür mit etlichen Treppen.

    Ich muß vorweg sagen keine 10 km entfernt gab es ein Rehazentrum mit einer gymnasialen Schulausbildung, aber da die 12te ja schon zum Abi zählt wollte ich die Schule nicht wechseln. Mein Vater hat sich da gewaltig reingekniet, der Rektor des Techn. Gymnasium stand hinter der Idee. Der Leiter der Gewerbeschule allerdings weniger. Erstes Argument: „Ich hätte dort nicht die entsprechende Förderung“. Antwort meines Vater: „Mein Sohn ist körperbehindert, der Kopf ist das was am besten funktioniert, eine besondere Förderung ist daher nicht notwendig“. Zweites Argument “Das ginge ja gar nicht wegen den Treppen“. Antwort: “Sofern ich morgens halbwegs pünktlich im Klassenzimmer erscheine, braucht sich die Schule nicht darum zu kümmern wie ich dorthin komme“. Dann das Totschlagargument: „Das hat versicherungsrechtliche Gründe“. Der Gewerbeschulleiter konnte allerdings keinen diesbezüglichen Versicherungsvertrag vorlegen. Es blieb im dann nur der Hinweis – er könne dies nicht entscheiden, da müsste das Schulamt oder gar das Oberschulamt zustimmen. Vielleicht hat er gehofft, daß mein Vater beim Wort Oberschulamt einknickt. Als hoher Bundesbeamter war er aber da gerade am Richtigen. Vater wandte sich gleich ans Kultusministerium und bekam nach einer Woche sowas wie ein ok.

    Praktisch war das so gedacht: Die 11te Klasse in der ich kommen sollte wurde informiert. Die waren von der ungewöhnlichen Idee, ich möchte sagen beinahe begeistert und haben sich bereiterklärt mich die zwei Jahre bis zum Abi die Treppen hochzuschaffen. Genau wie ein Tafeldienst war vorgesehen, daß morgens am Parkplatz zwei Schüler warten und mich aus dem Auto in den Rolli heben.

    Ich habe davon in der Klinik ja gar nicht viel mitbekommen, außer daß mein Vater nach wenigen Wochen meinte – die Sache mit der Schule ist organisiert. Ab dann ging es bei mir steilauf. Ich hatte am Anfang ja keinerlei Vorstellung wie das Leben mit so einer Behinderung weitergehen soll, aber irgendwie war klar 6-8 Monate Klinik und die nächsten zwei Jahre bis zum Abi sind geregelt. Im allg. sagt man ja es dauert ein bis zwei Jahre bis man als Querschnitt mit seiner Behinderung per du ist. Bei mir war das Thema nach 2-3 Monaten vom Tisch. Ich bin praktisch nie in dieses Loch gefallen eben weil ich wieder eine Perspektive hatte. Selbst heute noch bin ich dankbar,daß ich/wir einen großen Bogen um alle Rehazentren gemacht haben. Ich sagte mal den bösen Satz: „In Rehazentren wird man zum Behinderten erst gemacht“. Ich glaube wirklich an dem Satz ist was wahres daran. Auf der Schule wie auch später im Studium war ich der einzige Behinderte, daher ich mußte von anfang an lernen mit Nichtbehinderte umzugehen. Selbst heute noch habe ich kein Problem damit wenn mich jemand auf meine Behinderung anspricht oder auch mit dem Thema der sogenannten „Gaffer“. Kurz gesagt eine Integration war bei mir nicht notwendig, weil ich genau genommen nie „draußen“ war. Kurioserweise habe ich erst 13(!) Jahre nach meinem Unfall das erstemal mit anderen Querschnittgelähmnten gesprochen, ich mußte mich erstmal integrieren. 😀

    Zuletzt muß ich noch sagen, meine Lähmung hat sich die ersten Monate sehr gebessert. Als ich nach 8 Monaten wieder zur Schule ging konnte ich nicht nur alleine aus dem Auto. Ich konnte soigar Treppen gehen, war also 100 % selbstständig. Aber ich bin überzeugt mit der Schulklasse in der ich war hätte es auch im Rolli geklappt.
  • Hallo liebe Michaela,

    dieses Thema finde ich toatal wichtig, denn ich finde es furchtbar wie bei uns in Deutschland Kinder mit Behinderung getrennt von gesunden Kindern aufwachsen. Ich habe ja schon öfter geschrieben, daß ich ein paar Jahre in einer Ganztagsschule für körperlich und geistig behinderte Kinder gearbeitet habe. Die Trennung tut keinem gut. Es gibt höchstens ein paar schwerstmehrfachbehinderte Kinder die diesen geschützen Räum brauchen, aber alle Kinder anderen sollten gemeinsam aufwachsen. Die Kinder in integrativen Schulen profitieren sehr von einander. Sie sind viel selbständiger und die gesunden Kinder lernen Rücksicht zu nehmen und Schwächeren zu helfen. In der geschützen Umgebung einer Körperbehindertenschule mußte ich erleben das Kinder in ihrem Drang alles zu endecken und sich zu entwickeln viel zu sehr gebremst wurden. Nicht nur weil sie unter ihresgleichen sind, sondern auch weil die Sonderpädagogen ausschließlich in einer Umgebung mit behinderten Kindern arbeiteten. Aber auch unsere Gesellschaft würde davon profitieren. Sie würde die Angst vor einer drohenden Behinderung verlieren und mit uns viel selbstverständlicher umgehen als sie es jetzt tut. Ich bin mir sicher, es würde ein wesentlich besseres Miteinander auf Augenhöhe geben, als es heute in Deutschland der Fall ist. In anderen Ländern, in denen es keine Körperbehindertenschulen gibt, geht man mit Menschen die eine Behinderung haben, viel selbstverständlicher und toleranter um. Dort begegnet man allen Menschen auf Augenhöhe, hier in Deutschland nicht!

    Gruß Karin
  • Hallo Michaela, 😀

    in der Grundschule 1972 - 1976 bin ich noch nicht betroffen, doch danach mit 14 in den Sommerferien bekam ich eine Epilepsie, und das war schon schlimm.

    Im Anschluss der Hauptschule habe ich meine mittlere Reife gemacht und da fing es morgens mit myokl Anfälle und Absencen an, wobei man ganz schön stürzt, und nachts Grand Mal's sehr häufig.....🙁

    Damals hat mein Neurologe, den es nur einmal in der Stadt gab, mich nicht richtig medikamentös eingestellt......., das war fatal, denn ich hatte jeden zweiten Tag damit zu tun.

    Somit nahm ich genau morgens 6 Uhr meine Medizin im Bett, um weitere Stürze zu verhindern. Somit war die Folge, das ich unkonzentriert und ähnlich wie verkatert wirkte, und schwierige Pubertät zu Folge waren.
    Durch die Übermüdung und Kopfschmerzen kamen auch noch schlimme Blasen- und Nierenentzündungen hinzu, die sehr schmerzhaft waren.
    Die Grand Mal's sind auch des Nachts gewesen und auch zahlreich. Dadurch habe ich die Handelschule auch gut geschafft😀).

    Das Beste dabei war, das ich einen enormen Antrieb und Motivation hatte, und nur die brachte mir etwas. 😀
    Die Lehrer wussten nichts, weil eben nichts sichtbar war, und ich davor 'Manschetten' hatte.

    Später wurde ich von einem Arzt in Bethel neu eingestellt, und siehe da, ich war 6 Jahre frei von epil Anfällen 😀.
    Was durch erneute Umstellung der Uni Bonn vermasselt wurde, denn die hatte meine Medis abgesetzt und ich hatte einen Status epilepticus mit Koma nach drei sehr schwierigen Monaten.........🙁((((((

    1998 habe ich noch einmal die Vollzeitschule drei Jahre gedrückt, und ich habe es niemandem erzählt, denn die redeten so schlimm teilweise von behinderten Menschen, das ich es mir verkniffen habe 😀.

    Das sind Menschen, die heute mit behinderten Menschen arbeiten!!!

    Ganz liebe Grüsse von Marianne




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