Mein Partner hat ein Handicap - na und???

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Nachdem ich mich vor rd. 2 Jahren nach jahrelangem, überzeugtem Singledasein, geprägt durch eine Mischung aus "bindungsunfähig" und "-unwillig" plötzlich nach einer Partnerschaft sehnte, flirtete ich mich monatelang kreuz und quer durch Parship und diverse Internetforen. Spätestens beim ersten persönlichen Treffen wars dann (von meiner Seite her) vorbei: keine Chemie, keine Funken. Der Fehler: ich hatte so sehr "gesucht", fast eine "Must-have" Liste geführt, in die ich gedanklich Punkte eingetragen habe.

Letzten April lernte ich einen Mann auf HL kennen (wo ich vor langer Zeit mal wegen Recherchen - ich bin nebenberuflich Journalistin - gelandet war) und wir tauschten ein paar PMs und Mails aus. Er betonte, dass er an keiner Partnerschaft interessiert sei. Ich erwiderte, dass ich zwar auf Partnersuche sei - aber nicht auf HL - erzählte auch von meinen diversen danebengegangenen Rendez-vous. Im Mai fuhr ich auf Geschäftsreise nach Hannover, hatte vor der Generalversammlung noch einen Tag Zeit und es fiel mir ein, dass er in Berlin wohnt. Also Anfrage, ob er Lust auf ein unverbindliches Treffen hat. Er hat. Aber kein Date. Ich würde nach der Geschäftsreise ein Date mit einem Internisten in Stuttgart haben. Also definitiv kein Date.

Ich komme am Berliner Ostbahnhof an - und es passiert. Der berühmte erste Blick.. auf Gegenseitigkeit. Man muss 47 werden, damit einem das passiert. Ich wusste, dass ihm ein Bein fehlt, dass er kein Prothesenträger ist - aber nach ein paar Stunden fällt mir das gar nicht mehr auf - ich sehe sein Lachen, seine grünen Augen, höre seine Stimme. Und fühle mich unendlich wohl an seiner Seite. Nach der Generalversammlung sitze ich statt im Flieger nach Stuttgart im Zug zurück nach Berlin, "um mir Gewissheit zu verschaffen, dass ich mich nicht geirrt habe". Ich habe nicht...

Wir sind jetzt seit über 8 Monaten zusammen, führen eine Fernbeziehung, was uns beiden sehr entgegenkommt, weil wir im Grunde unserer Herzens Einsiedler sind. Sehen uns alle 2-3 Wochen - perfekter Rhythmus. Mein Herz klopft immer noch wie wild, wenn ich aus dem Air Berlin Flieger klettere oder in Wien auf ihn am Flughafen warte - und er zumeist ohne jegliche Konkurrenz der charismatischste Mann weit und breit ist, der mir in der Ankunftshalle entgegenkommt.

Natürlich machte ich mir Gedanken, ob die Behinderung ne Belastung für unsere Partnerschaft sein würde. Ob man mit angestarrt, mitbemitleidet wird, weil "man nix Besseres gefunden hat". Letzteres kann ich sogar mit reinem Gewissen mit einem Nein beantworten.Nein, ich hab "nix Besseres" gefunden. Weil er das Beste ist, was mir je - auf partnerschaftlicher Ebene - passiert ist. Natürlich gibt es fragende, mitleidige, geschockte Blicke, natürlich ist man bei manchen Leuten gesellschaftlich unten durch, weil man angeblich so "tiefstapelt". Übrigens eine gute Gelegenheit,im Freundeskreis mal so ordentlich auszumisten..

Er ist der Ruhepol in meinem beruflich so hektischen Leben, die Schulter, an die ich mich anlehnen kann, der mich mit nüchterner Analysefähigkeit und viel Einfühlungsvermögen auf den Boden zurückbringt, wenn ich mal zu sehr abgehoben habe oder mich von diesem aufhebt, wenn ich wieder mal tief gefallen bin. Ich bin stolz auf den aussergewöhnlichen Mann an meiner Seite, die Behinderung ist komplett nebensächlich -lieber ein Partner mit offenem Mangel als einer mit verstecktem, wo man erst nach Monaten draufkommt (obwohl zugegebenerweise das erste das zweite nicht ausschliesst). Und erst die Fringe Benefits: alle einsamen Socken gehen in seinen Besitz über, "Mutter Teresa" darf gratis als Begleitperson mit Bahn und Bus fahren bzw. ins Kino oder Bad rein..und last, but not least: viel Platz im Bett!

Fazit: das Froschküssen hat endlich ein Ende - und die Chancen auf einen Haupttreffer steigen gewaltig, wenn man nicht im grossen 08-15-Aquarium wie alle fischt, sondern offen für Ausnahmeerscheinungen ist and "just let it happen".


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  • MyHandicap User
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    Wo die Liebe hinfällt!!!!!

    Das ist ein Spruch,den ich mir gemerkt und gerade wieder eingefallen ist.

    Habe Deine Geschichte sehr genoßen C.....!
    Mit 17 Jahren wollte ich immer einen blonden hübschen Mann.Ich habe in nicht bekommen.

    Morgen bin ich mit meinem heute Grauhaarigen Mann 35 Jahre verheiratet und wir dürfen uns seit ein paar Wochen wegen schwerer Krankheit von uns beiden,sogar wieder gemeinsam mit jeweils einem Krankenfahrzeug raus.Wir haben viele Tiefen aber auch wunderbare Höhen gemeinsam durchlebt.Ich möchte nicht einen Tag missen.

    Deshalb wünsche ich Euch beiden,das dieses Gefühl,das Euch beide verbindet noch sehr lange anhält.Viel Glück und weiterhin alles alles Gute
    Gruß
    SENDRINE 😀
  • MyHandicap User
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    Hallo Caracas,

    also diese Einstellung finde ich echt klasse 😀.
    Diese Geschichte sollte sich "Quantum" auch mal zum Herzen nehmen.
    Was ist eigentlich "HL"?!

    Für mein 1.-Klasse-Deutsch entschuldige ich mich.

    Gruß Keana


  • MyHandicap User
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    Keana, diese Geschichte habe ich auch sehr aufmerksam gelesen und find sie einfach klasse. Dies lässt mich auch hoffen, das ich vielleicht auch noch die richtige finde. Von mir erst mal ein herzlichen Glückwunsch.

    HL ist die abkürzung für Handicap-Love

  • MyHandicap User
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    Finde deine Geschichte schön und freu mich für euch beide.

    Das er nüchterner Analysefähigkeit und viel Einfühlungsvermögen besitzt ist bei vielen menschen mit behinterung so das überrascht mich nicht. Dies liegt aber nicht das durch den verlust eines körperteils sie die Empatischen fähigkeiten steigern, nicht direkt zumindest. In der regel führt eine behinterung die man sich zu zieht zu einem Trauma und man lernt eben auch gefühle unter kontrolle zu halten. Eben auch weil man sieht was gefühle anrichten können wenn sie unkonrolieret sind.

    Wenn ich deine Zeilen lesse und dabei denke wie dein herz bis zum hals schlägt wärend du von ihm schreibst, dann muss ich dir zustimmen. Was besseres hättest du echt nicht finden können und wiederhole gerne nochmal, ich freu mich für euch beide und wünsche euch auch alles glück der welt. (wobei ihrs wohl eh schon gefunden habt)
  • Danke für Eure netten Antworten, über die ich mich sehr gefreut habe. Ich glaube, das Wichtige an einer Beziehung ist, dass man Respekt voreinander hat, den anderen so lässt, wie er ist und ein Ausgleich von Geben und Nehmen vorhanden ist. Das klingt pathetisch, aber es passiert mir wirklich zum ersten Mal, dass jemand das genauso empfindet und es für ihn ebensowenig ein Lippenbekenntnis ist. Besonders wenn man lange Single war, entwickelt man ne Menge Macken, die sorgfältig gehegt und gepflegt werden und von denen man sich nur ungern verabschiedet. Man hat eine genaue Vorstellung "wie was gehört" und weicht davon nur marginal ab. Aber das Kunststück ist es, sich bis zu diesem Grad anzupassen, wo man seine eigene Identität nicht verleugnet und guten Wissens von sich behaupten kann, dass man sich nicht verbiegt.(eines unserer Agreements ist z.B: "Ich zerstöre Deine Ordnung nicht und Du lässt mir meine Unordnung". Ich mache bei ihm zwischenzeitlich brav alle Laden zu, während er ohne zu murren bei mir über leere Flaschen, Katzensandsackln usw. klettert)

    Ich bin ein sehr ungeduldiger Mensch, bei mir muss alles schnell gehen und ich warte ungern. Das war anfangs auch mein grösstes Bedenken, dass ich diesbezüglich auf seine Behinderung Rücksicht nehmen werden muss und mir das irgendwann mal auf die Nerven gehen könnte. Aber erstens ist er sehr mobil (Stiegen rauf und runter hab ich kaum eine Chance, tempomässig mitzuhalten, obwohl ich fitness-studio-geeicht bin) und wenn mal die äusseren Umstände leicht bremsend sind (wie das extreme Glatteis in Berlin vor zwei Wochen), dann schadet es mir überhaupt nix, mich mal etwas in Geduld zu üben und einen Gang zurückzuschalten.

    Wichtig ist sicher, dass die Behinderung von Anfang an kein Tabuthema war und dass ich nie aufpassen musste, um nicht in ein Fettnäppchen zu treten, da er von political correctness genauso wenig hält wie ich. Wenn sich irgendeine Situation ergibt, wo ich leicht unsicher bin und nicht genau weiss, wie ich reagieren soll, lege ich das sofort auf den Tisch und wir reden offen darüber. Es ist unserer Meinung gut, über die Behinderung zu reden, ohne sie aber zu "thematisieren".

    Viel Kreativität erfordert auch der Umstand, einen Partner zu haben, in den man sich beim Gehen nicht einhängen kann. Aber wir haben eine Technik entwickelt, dass ich sehr wohl den Arm um seine Schulter legen kann ( was für einen Aussenstehenden vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig aussieht), vorausgesetzt wir gehen im Gleichschritt, was wir in der Zwischenzeit perfekt beherrschen - ständig darauf achtend, dass weder ich über die Krücke fliege, ich ihm nicht die Krücke wegkicke und ich den Fuß früher wegziehen kann, bevor er noch Gelegenheit hat, mit der Krücke hübsche Muster auf meinen weissen Sneakers zu hinterlassen.

    Am Mittwoch sehen wir uns wieder - es steht übrigens auf seiner Job Description, jeweils die Stunden bis dorthin auszurechnen - wir treffen uns bei Freunden im Allgäu und er kommt im Anschluss mit nach Wien, meine Wohnung weiter zu renovieren. Er ist unglaublich geschickt und schafft Sachen, für die die meisten zweibeinigen Männer zu ungeschickt sind.

    Ich glaube, es ist wichtig, dass man den behinderten Partner nicht in erster Linie als Behinderten sieht, sondern dass das nur ein "unter ferner liefen"-Merkmal ist, vorausgesetzt natürlich, dass sich die Person selbst akzeptiert und nicht ständig mit dem Schicksal hadert. Ich finde meinen Schatz sehr attraktiv, ich mag seinen durchtrainierten Körper, seine Muskeln - und würde ihn sicher nicht mehr oder weniger lieben, wenn er "vollständig" wäre. Was die Umwelt darüber denkt, ist mir in der Zwischenzeit egal. Es ist meine Entscheidung und die einzige, der ich Rechenschaft ablegen muss, bin ich. Sonst niemandem.

  • MyHandicap User
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    Hallo Caracas,

    also wenn Du nichts dagegen hast, häng ich mir diese Beiträge gleich an die Pinwand. Ich lern auch allerhand dazu bei diesen Beiträgen.


    Keana

    PS Ich begrabe heut abend mein Deutsch.
  • MyHandicap User
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    Hallo,
    das ist eine schöne Wahrheit in Herrlichen Worten.



    Ich wünsche Dir das dieser Traum für Dich auch NIE Enden wird.😀


    Viele liebe Herzliche Grüße
    für eure Zukunft
    Herbi


  • MyHandicap User
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    Hallo Caracas,
    was Du und wie Du was schreibst, geht unter die Haut.
    Alles Gute für Euch beide
    wünscht
    Jochem

  • MyHandicap User
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    Hallo Caracas

    Genauso jemanden suche ich noch, der mich als ganzes sieht. Der in mir das Lächeln sieht, welches ich von außen nicht zeigen kann. Jemand der meine Gefühle für ihn spührt, ohne das ich sie ihn zeigen kann.

    Wenn der jenige mich als Mensch sieht und nicht als jemanden, der ein Handicap hat.
  • Hallo Quantum,
    aber wieso kannst Du kein Lächeln zeigen, warum kannst Du Deine Gefühle nicht zeigen? Wenn Du als "Ganzes" gesehen werden möchtest, dann musst Du Dich ausdrücken, Menschen sind doch keine Hellseher!

    Ich glaube, Du musst mal im Reinen mit Dir sein, Dich selbst akzeptieren, bevor Du von jemandem erwarten kannst, dass er Dich mit allen Deinen Eigenschaften akzeptiert. Nichtbehinderte haben Berührungsängste, aus Mangel an Expertise im Umgang mit einem Behinderten - und die sind umso grösser, desto klarer ersichtlich ist, dass jemand mit seinem Schicksal hadert. Bist Du unsicher, dann ist es der Nichtbehinderte noch viel mehr, weil es "Fremdland" ist und es keine Gebrauchsanweisung gibt. Es liegt an Dir, anschaulich zu demonstrieren, dass es wert ist, über etwaige äusserliche oder motorische Unzulänglichkeiten hinwegzusehen, um als ersten Schritt Dein Ich - das sich nicht nur über die Behinderung definiert - zu entdecken, zu akzeptieren, zu schätzen und im "best case scenario" zu lieben. Es liegt an Dir, eine für Deine Person massgeschneiderte "Gebrauchsanweisung" zu entwerfen und den ersten Schritt zu tun, um Deine innere Schönheit zu zeigen und Deinem Gegenüber die Angst zu nehmen. Aber dazu gehören nun mal Emotionen, die Du imstande bist, zu zeigen!

    lg
    Caracas
  • MyHandicap User
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    Hallo Caracas,

    Sehr schöne, aufbauende Geschichte.
    Danke fürs Teilen.

    Zeigt einem einfach auch: Manchmal braucht es Geduld. 😀

    butterfly
  • MyHandicap User
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    Hallo Caracas

    Schön einmal die andere Seite einer Handycap-Beziehung zu hören / lesen. Ich habe schon mein halbes Leben lang einen tollen Mann, der sich nicht an meiner motorischen Schwäche stört. Das ist schön! Leider gibt es aber auch Momente, wo ich mir angesichts meiner progessiven Behinderung schon Gedanken über meine / unsere Zukunft mache. Grundsätzlich denke ich aber positiv und hoffe, dass ich auch weiter mit meinem -wie ich bin- die kommenden Hürden nehmen kann.
    Ich wünsche Euch alles Liebe

    Tinker Bell
  • MyHandicap User
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    Hallo Caracas,


    es ist schön, das Du uns an Euerer Liebesgeschichte etwas teilhaben lässt.


    Herzlichen Dank dafür.

    Passt gut auf Euch und Euere Liebe auf.


    Kerstin
  • hallo caracas,
    oh es ist so schöööön eure geschichte zu lesen. und auch witzig wie du schreibst. 😀 mit dem krückenabdruck auf deinem sneaker. mußte echt grinsen. konnte mir euch bildlich vorstellen. 😀
    ich habe auch einen partner mit behinderung (hemiplegie). diese stört mich so erstmal überhaupt nicht, weder optisch noch sonst irgendwie. ich kann ihn mir auch gar nicht anders vorstellen. nun, aber diese jene welche beh. bringt einen kl. berg an anderen problemen mit sich, weshalb ich mich auch hier angemeldet habe. natürlich können diese probleme auch bei jemandem ohne beh. auftreten, ich mache sie aber im mom (leider) daran fest. vielleicht seh ich auch deshalb die beh. im mom so im vordergrund, das stört mich selbst. vielleicht kommen einfach jetzt viele sachen in mir hoch, wo ich redebedarf habe. aber wie gesagt, das passt nach so ner schönen geschichte nich hier hin. also in erster linie sage ich auch, mein partner hat ein handicap-na und? mir is es egal, was die leute sagen. ich habe so eine tiefe liebe noch nicht erlebt und möchte ihn niemals wieder verlieren.
    vg
    flyaway

    @narun: wie meinst du das, mit dem: was gefühle anrichten können, wenn sie unkontrolliert sind oder warum hält man sie unter kontrolle? passt son bischen zu meinem freund. kannst du mir dazu was schreiben? das wär toll.
  • Hallo Caracas,

    also ich bin sehr berührt, und dankbr das ich teilnehmen durfte deine "Liebes"geschichte lesen zu dürfen.

    Am meisten hat mich beeindruckt. als du geschrieben hast, Lieber Macken die man sehen kann als Macken die man nicht sieht und sehr spät erkennt.

    Zu deinem Glück, wünsche ich Dir viele viele schöne Tage zusammen.
    Viel Glück auf euren Wegen

    Grüsse
    Makkal