Sehbehinderung: Ich bin doch gar nicht so arrogant...

MyHandicap User
MyHandicap User ✭✭✭
bearbeitet 8. Apr 2021, 00:17 in Sinnesbehinderungen
Hallo,

ich habe bei Wikipedia-Artikel zum Thema Sehbehinderung den Abschnitt "Auswirkungen" gelesen und ich muss sagen: Der sprach mir aus der Seele.

Ich selbst bin mit meinen 10% Restsehvermögen "wesentlich sehbehindert". Ich kann mich im Straßenverkehr meist recht gut orientieren und habe Probleme eher bei kleineren Objekten: etwa bei Buchstaben (Schrift kann ich nur stark vergrößert lesen, Busnummern kann ich nur erkennen, wenn ich direkt vor dem Bus stehe, ...) oder aber auch bei Gesichtern von Personen, die mehr als einen Meter von mir entfernt stehen.

Und hier gibt es dann ein soziales Problem: Man merkt es mir lange Zeit nicht an, dass ich schlecht sehe. Wie auch? Ich komme im Straßenverkehr gut klar und kann mich ganz normal mit Leuten unterhalten, in Anwesenheit von anderen lesen muss ich selten. Aber wenn mich ein Bekannter grüßt, kann ich nicht zurückgrüßen, wenn mich jemand anlächelt, kann ich nicht reagieren. Leute halten mich dann schnell für arrogant oder sturr.

Leute, mit denen ich öfter zu tun habe, wissen natürlich von der Sehbehinderung. Ich hätte aber gern, dass auch andere (z.B. in der Uni) Bescheid wissen. Klar, ich könnte mit einer Sehbehindertenbinde rumlaufen, aber ich brauche sie eigentlich nicht, weil ich mich einerseits noch sicher genug bewege und andererseits nicht wie ein Simulant wirken möchte ("Wieso läuft der mit einer Binde herum, obwohl der sich in der Mensa einen Kaffee holen kann wie ich auch?").

Kennt jemand diese Situation? Wie habt ihr das gemacht? Bin gespannt auf Meinungen 😀

Viele Grüße
Markus

Antworten

  • Hallo markusfe!

    Mir geht es ähnlich. Leider lässt sich dieses Problem nur mit optischen Mitteln lösen. Mir wurde empfohlen, den weissen Stock zu benutzen. Doch bisher habe ich mich dagegen gesträubt, weil ich dank genügendem Sehrest noch ziemlich ohne ihn auskomme. Und wenn man noch einen genügenden Sehrest hat, um sich einigermassen normal bewegen zu können, ist das zweite Problem - "Der hat einen weissen Stock, scheint aber noch gut sehen zu können" - auch unlösbar. Manche Menschen erkennen richtig, dass man sehbehindert ist, manche wundern sich halt, und wieder andere wittern Betrug. Aber es sind schlicht zu viele Leute, als dass wir Sehbehinderte deren "Wahrnehmungsprobleme" lösen können (mit Gespräch oder was auch immer). Manche Menschen liessen sich durch uns sowieso nicht überzeugen.Bleibt also nichts anderes übrig, als den Verwandten, Freunden und allen Menschen, mit denen man mehr zu tun hat, sein Handicap mitzuteilen. Bei allen anderen Menschen besteht keine andere Möglichkdeiit, als sie mit ihrem "Wahrnehmungsproblem" alleine zu lasen. Mgen sie jetzt erkennen, dass man sehbehindert ist, oder nicht.

    Liebe Grüsse
    phanes
  • Grüß dich markusfe,

    das Problem haben auch Menschen mit anderen Handicaps, wie Hörgeschädigte / taube.

    Auch ich als schwerhöriger, habe es schon bemerkt, das man als arrogant eingestuft wird, wenn man auf Gespräche /zurufe nicht reagiert, weil man eben nichts gehört hat.

    Ich halte für das beste, die Menschen die es einem Wert sind, über das Problem aufzuklären.

    Oftmals bin ich auch sehr froh, das man mir weder auf den ersten noch den zweiten Blick mein Handicap ansieht, wenn ich sehe das viele Menschen, Behinderte z.B. Rollifahrer oder Contergan geschädigte, sekundenlang *ANGLOTZEN*.

    Das möchte ich definitiv nicht bei mir erleben.

    Ein, starkes Selbstbewußtsein im Umgang mit dem eigenen Handicap und wie außenstehende darauf reagieren, ist wohl die effektivste Lösung.

    Beispiel:

    Ich war letztes Jahr in einer supertollen Reha für schwerhörige.

    Bis dahin habe ich, wenn ich bei anderen etwas nicht komplett verstanden habe, immer gesagt :
    * entschuldigung, ich bin schwerhörig und habe sie nicht verstanden,können sie das bitte wiederholen*

    Wir lernten daraufhin, das man sich für sein Handicap nicht entschuldigen muß.

    Ein ich hab sie nicht verstanden reicht komplett.

    Wir möchten ja kein Mitleid, so müßen wir uns den Aufgaben stellen und auf die Menschen zu gehen.

    Wer kein Verständnis zeigt, ist es auch nicht Wert.

    Einen schönen Sonntag

    Yeggdrasil


  • Hallo markusfe,

    du hast noch 10% Restvermögen deines Augen lichtes. Das ist nicht viel. Zum sehen zu wenig. Zum Kreis der Erblindenden zu viel. Für ein normales Leben jedoch viel zu wenig!

    Ich bin durch einen Unfall, vor 10 Jahren vollblind.
    Warum hast du Probleme, eine Anstecknadel oder Ansteck klemme zu tragen? Warum haben Menschen Schwierigkeiten einen Blindenstock einzusetzen? Wenn du erst einmal wartest das du vollblind bist, ist das erlernen mit dem Blindenstock bedeutend Schwieriger!

    Ein Beispiel: Ein guter Freund war stark Sehbehindert, nun blind. Er war genau wie du oder auch wie phanes. Nur Ausreden und immer die Anderen. Bis eines Tages ein Anruf aus einer Klinik kam. Weil er kein Blindenstock mit sich führte, erkannte er den Weg nicht. Er fiel in eine Grube und verletzte sich massiv. Er war zum Schluss froh, dass die Krankenkasse die Kosten übernahm. Hätte er sich abgesichert, wäre so etwas nicht passiert! Heute muss er an einer Gehilfe laufen und dazu den Blindenstock. Schmerzen lassen ihn oftmals bald wahnsinnig werden, aber es gibt wenig Möglichkeiten!

    Wieso sind dir die Bemerkungen (wenn!) und Gedanken völlig fremder Menschen so wichtig? Es ist doch dein Leben, lebe und vergeude es doch nicht!
    Wenn du Blindenunterricht (Mobilität- und Orientierungsunterricht) in Anspruch nimmst bevor du erblindest, kommen bei der Erblindung weniger Schwierigkeiten.
    Versuche doch dein Leben so leicht und lebensfroh zu gestalten wie nur möglich!

    Auch Sehbehinderte können die Ansteck klemme tragen! Bedenke auch deine Versicherung, die nur in Kraft tritt, wenn du ausreichend gekennzeichnet bist/warst!

    Wenn du Fragen hast oder dich austauschen möchtest, ich bin gern bereit.

    Eine sonnige Woche, Emmerisch
  • Hallo,

    als Nicht-Betroffene habe ich mir bei Deinem Beitrag mal überlegt, wie ich denn reagieren würde, wenn ich zB jemand aus der Ferne zuwinke und er/sie nicht reagiert und ich lächle und keine entsprechende freundliche Reaktion bekomme.

    Ich würde denken: Wenn ich jemand bisher als freundlich und zugewandt erlebt habe oder einfach interessiert an der Person bin, würde ich das erst einmal nicht als negatives Zeichen sehen, sondern einfach annehmen, die andere Person ist gerade in Gedanken versunken, hat mich nicht gesehen oder ist gerade in Eile (mir passiert es auch regelmäßig, dass ich jemand auf der Straße "übersehe", einfach weil ich gerade mit den Gedanken woanders bin).

    Dann würde ich das einfach bei nächster Gelegenheit ansprechen, wenn es mir wichtig ist, so á la: "Hey, ich hab' Dich neulich da und da gesehen und Dir gewunken, aber Du hast mich wohl nicht gesehen" oder "Na, alles klar bei Dir heute, Du lächelst ja gar nicht zurück, wenn ich Dich anlächle ...". In beiden Fällen ließe sich dann klarstellen, warum Du wie reagiert hast.

    Mit anderen Worten: eine soziale Beziehung ist ja etwas Gegenseitiges und Du bist nicht allein dafür verantwortlich - wenn Leute Dein Verhalten nicht verstehen, können sie ja auch nachfragen.

    Und bei Leuten, die Du wirklich nur sehr oberflächlich kennst und die auch kein näheres Interesse an Dir zeigen, weiß ich wie andere hier auch nicht, warum es wichtig sein sollte, was sie über Dich denken.
  • Hallo,
    ich habe seit ein paar Monaten einen neuen Wohnsitz und damit neue Nachbarn. Natürlich haben die neugierig geguckt, wer denn da nebenan wohnt.

    Ich habe bei jedem, von dem ich annehme, dass er/sie mein Nachbar ist, gleich freundlich mitgteilt: "Seien sie mir bitte nicht böse, wenn ich sie schon am Morgen mehrfach grüße oder sie den Eindruck haben, dass ich sie ignoriere. Ich kann sie aufgrund einer Behinderung nicht am Aussehen wiedererkennen". Ich trage einen "Anstecker" an einer Halskette.

    Es gibt keinen Grund FÜR MICH meine Behinderung zu verheimlichen, soweit sie den Kontakt zu meinen Mitmenschen und den Zugang zu Einrichtungen erschwert.

    Die Situation von behinderten Menschen kann meiner Meinung nach nur besser werden, wenn sie ganz selbstverständlich in der Öffentlichkeit sichtbar sind.

    Die Mitarbeiter des DB-Reisezentrum und der DB-Louge sind an meinem Wohnort zum Thema "Schwerbehinderung" ziemlich ungebildet. Leider ist es bei uns Menschen so, dass wir bevorzugt die Infos aufnehmen, die zu unseren Vorannahmen passen und andere ignorieren.
    Ich habe also bei jeder Bahnreise viel zu tun,da dort schwerbehindert mit rollstuhlpflichtig gleichgesetzt wird. Als weitere Kategorie scheint es dort nur noch geistig behindert zu geben.

    Ich würde Dir zu einem offenen Umgang mit der Sehbehinderung raten. Sie wird nicht größer, nur weil du sie deutlich zu erkennen gibst.
  • halloo 😀

    hahaha ... du sprichst mir aus der seele!

    bei mir merkt man es eigentlich nicht, ich glaube es sind zwar einige eigenheiten zu beobachten, aber wenn man nicht explizit darauf achtet, dann kommt man nicht drauf, dass ich auf einem auge nichts mehr seh und auf dem anderen ~30% sehleistung hab.

    also bekannte und flüchtige komilitonInnen in der uni kann ich eigentlich gar nicht erkennen, da müssen sie relativ nahe sein und ich müsste sie fixieren. drum renn ich da gern einfach stressig durch die menschenmenge, um da schnell weg zu kommen .. ist zwar nicht gerade die geselligste art aber irgendwie ist es mir unangenehm.
    ich möchte nicht in die peinliche situation kommen, dass irgendwo um mich herum jemand hi! ruft oder meinen namen sagt und ich blöd rumglotzen muss und vielleicht denjenigen gar nicht erst finde. 😳

    ich kann mir gut vorstellen, dass das dann mit arroganz betitelt wird 😀

    aber irgendwie arrangiert man sich ja ... bleibt irgendwo stehen und "scannt" die umgebung, hört auf eventuell bekannte stimmen .. 😃

    aber nur dafür ne blindenschleife oder so ein ansteckteil zu tragen find ich jetzt etwas unnötig. da find ich diese "stigmatisierung" doch wieder mehr als nachteil, weil, wenn es auch als hilfe gelten soll, es eher vorurteile, distanz oder gar mitleid in der gesellschaft weckt.

    lg
  • Dieser Thread ist zwar schön älter, aber es reizt mich doch, ihn zu beantworten.

    Ich bin hochgradig kurzsichtig, habe aber glaube ich auch einen zentralen Anteil der Sehschwäche. Ich kann zB Gesichter nicht gut erkennen, weshalb ich die Leute an ihrem Gangbild erkenne. Und ja, genau, wenn jemand steht statt geht, habe ich echt ein Problem. Das ist mir immer wieder enorm peinlich.

    🐞🦋🐸🐰🐹🦒😎

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