Habt ihr auf der Jobsuche schon Diskriminierung aufgrund eurer Behinderung erfahren?

Nadine Almeida
bearbeitet 13. Sep 2024 in Recherche

Hallo ihr Lieben, ich bin Redakteurin und arbeite gerade an einer Dokumentation zum Thema Inklusion in der Arbeitswelt und habe mitbekommen, dass viele Menschen mit Behinderung Diskriminierung und Ablehnung bei der Suche nach Arbeitsplätzen auf dem 1. Arbeitsmarkt erfahren. Mich würden eure Erfahrungen interessieren. Habt ihr schon Diskriminierung aufgrund einer Behinderung erfahren? Oder stößt ihr bei Bewerbungen regelmäßig auf Ablehnung? Welche Gründe wurden euch dafür genannt? Wenn ihr mir von euren Erlebnissen erzählen möchtet, meldet euch gerne direkt hier.

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  • OK
    OK ✭✭✭
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    Ich bin zwar in der Schweiz, habe aber bisher in jeder Bewerbungsphase Diskriminierung erfahren:

    Ich bin Autistin und habe meine Ausbildung im 2. Arbeitsmarkt gemacht. Wenn potenzielle Arbeitgeber aus dem 1. Arbeitsmarkt den Namen meines Ausbildungsortes googeln, ist sofort ersichtlich, was das für ein Ort ist.

    Nach der Ausbildung war ich 10 Tage arbeitslos. Das tönt nicht nach viel, wenn man aber bedenkt, dass der Ausbildungsort einen Vollzeitmitarbeiter hat, dessen Aufgabe es ist, mit den Lernenden eine Anschlusslösung zu finden (und Arbeitslosigkeit ist hier nicht als Anschlusslösung gemeint), dann ist das doch viel. Also selbst mit Hilfe bei der Jobsuche hat es erst spät geklappt. Fairerweise muss ich hier erwähnen, dass ich einen Klinikaufenthalt plante und deswegen einen Job für rund zwei Monate suchte, was die Möglichkeiten schon sehr einschränkte.

    Nach rund eineinhalb Jahren bei meinen jetzigen Arbeitgeber war eigentlich geplant, dass meine Stelle aufgrund Umstrukturierung abgebaut wird. Während fünf Monaten war ich also intensiv auf Stellensuche, während rund zweieinhalb dieser Monate erhielt ich dabei Unterstützung in Form eines Coachings. Ohne Erfolg. Meine Coaching-Person hat mehrere Strategien ausprobiert. Ich wurde oft zu Vorstellungsgesprächen eingeladen, danach jedoch stets abgelehnt.

    Auffällig war in dieser zweiten Bewerbungsphase, dass ich trotz meiner bereits gesammelten (ersten) Berufserfahrung im 1. Arbeitsmarkt in den meisten Vorstellungsgesprächen auf meinen Ausbildungsort angesprochen wurde. Oft wurde ich auch nach dem Grund gefragt, weshalb ich die Ausbildung dort gemacht habe. Ich war also gezwungen, meine Behinderung offenzulegen, auch wenn ich dies nicht in allen Fällen wollte.

    Meistens geben Unternehmen den genauen Grund für eine Absage nicht bekannt. Es gab bei mir aber in zwei Fällen (schriftliche) Absagen, die sich auf Autismus bezogen. In einem Fall war es sogar so, dass die Absage zunächst nur an meine Coaching-Person ging und erst mit einigen Tagen Verzögerung an mich. In diesem Fall wurden auch mir und meiner Coaching-Person unterschiedliche Dinge erzählt. Der Coachig-Person gegenüber wurden Bedenken bezüglich meiner Behinderung geäussert, mir gegenüber jedoch nicht. Auch nicht auf meine Nachfrage hin.

    Der Plan meines Arbeitgebers hat sich glücklicherweise geändert, sodass meine Stelle schliesslich doch bestehen blieb. Jetzt kann ich nur hoffen, dass dies weiterhin so bleibt und es nicht demnächst wieder eine Planänderung diesbezüglich gibt. Denn besonders diese kürzliche Bewerbungsphase hat mir bewiesen, dass ich im 1. Arbeitsmarkt grundsätzlich nicht erwünscht bin.

  • Nadine_EnableMe
    bearbeitet 13. Sep 2024 Antwort ✓

    Hallo @Nadine Almeida,

    Dem ersten Arbeitsmarkt fehlt es leider noch an Inklusion. Diskriminierung findet schon da statt, wo behinerte Menschen nicht mitgedacht werden. Fehlende Barrierefreiheit in Bewerbungen oder auf Bewerbungsportalen, fehlende Barrierefreiheit der Gebäude, der Bahn (Irgendwie muss man ja zum Vorstellungsgespräch oder Arbeitsplatz kommen) oder Ähnliches. Aber auch einige Arbeitsmodelle erschweren es. Beispielsweise benötigen einige flexible Arbeitszeiten, können keine 40 Stunden arbeiten oder benötigen Homeoffice.


    Grundsätzlich habe ich schon einige erlebt. Ich wurde zum Probearbeiten eingeladen, weil man mal gucken wollte, wie blinde Menschen so arbeiten oder mir wurde gesagt blinde Menschen können nicht arbeiten. Einmal waren es Treppen, die angeblich für mich ein Problem sein sollen. Grundsätzlich habe ich oft gemerkt, das mir weitaus weniger zugetraut wurde als sehenden Personen.

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  • Hallo @OK

    Es ist wie Nadine sagt, wir haben noch längst keinen inklusiven Arbeitsmarkt. Ich habe viele Jahre in der beruflichen Integration gearbeitet und dabei immer wieder gesehen, dass die Suche nach einer Stelle im ersten Arbeitsmarkt eine Herausforderung ist. Es war der Grund warum ich nach einer Organisation suchte, die einen Beitrag leisten kann, dass diejenigen Unternehmen, die offen sind von Menschen mit Behinderung gefunden werden können. So bin ich zu EnableMe gestossen und leite heute das Job- und Lehrstellenportal. Es gibt einige Unternehmen die wirklich bestrebt sind darin inklusiver zu sein und bevor sie bei uns ausschreiben viele Fragen haben oder Workshops in Anspruch nehmen. Aber am Ende des Tages ist es auch für uns noch etwas die Suche nach der Nadel (oder den Nadeln) im Heuhaufen. Es hat aber immer mehr Unternehmen und Stellen auf unserer Jobplattform, die du sicher schon kennst.

    Mit deiner Geschichte bist du natürlich auch nicht allein wir haben Milena, die im Interview von ähnlichen Erfahrungen berichtet wie du. Ich kann gut verstehen, dass das einem an manchen Tagen verzweifeln lässt oder mutlos macht. Jedes Mal wenn ich von solchen Erfahrungen lese, zeigt es mir wieder, dass wir bei EnableMe weitermachen müssen und die Arbeitswelt weiter inklusiver machen müssen!

    EnableMe Projektverantwortung für das Jobportal