Gesprächstherapie - langsam oder fehlgeschlagen?

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Hallo an alle,


ich habe heute ein für mich recht heikles Thema. Ich bin seit etwas mehr als einem Jahr wieder in Gesprächstherpie, bei einer 'neuen' Ärztin. Davor war ich eine Weile nicht in Behandlung, und wiederum davor bei einem Psychiater, der mittlerweile im wohlverdienten Ruhestand ist.

Heikel ist das Thema deswegen, weil ich echt etwas Schiss habe, mit dieser Ärztin in einer Sackgasse zu sitzen und vielleicht weiter suchen zu müssen, was mich irre stressen würde.


Grundsätzlich fühle ich mich recht wohl mit dieser neuen Ärztin. Ich mag sie, fühle mich meistens verstanden und respektiert. Allerdings hatte ich gerade anfangs das Gefühl, als würde sie sich fragen, wieso ich überhaupt zu ihr komme. Dieses Gefühl habe ich irgendwann als Irrtum meinerseits abgetan, aber letzte Woche hat sie dann etwas gesagt, was mir irgendwie keine Ruhe lässt. Das Thema war meine Unsicherheit, was einen neuen Job angeht. Ich arbeite 30 Stunden pro Woche, und das seit 18 Jahren in der selben Firma. Die Arbeit unterfordert mich eigentlich wahnsinnig, aber der Arbeitgeber akzeptiert meine Einschränkungen, d.h. Ausfälle wegen Migräneattacken und zeitweise verminderte Leistung wegen Depression. Ich mag meine Kollegen und mein Arbeitsumfeld, einzig die Arbeit ist einfach sterbenslangweilig, daher habe ich den Gedanken geäußert, dass es vielleicht schön wäre etwas zu machen, was meinen Fähigkeiten besser entspricht. Und dass ich Sorge habe, ein neuer Arbeitgeber würde meine 'Eigenheiten' nicht akzeptieren. Daraufhin fragte meine Therapeutin, was denn meine 'Einschränkungen' wären und ich sagte nunja eben die Depression und die Migräne. Da hat sie gestutzt und ein paar Minuten später sowas gedroppt wie "Ich wusste nicht dass Sie sich so schwer tun, Sie wirken eben ganz anders. So gefestigt und reflektiert." Und da war ich kurz mal perplex und dachte Frau.. ich komme seit einem Jahr alle 3 Wochen zu dir, sagst du mir grade du hast immernoch keinen Tau wieso eigentlich? Bei mir daheim stapelt sich die Wäsche weil ich den Haushalt nicht packe, ich sehe morgens keinen Grund mich aufzurappeln (tue es dann doch wegen meiner Tiere und der Arbeit), bin fast vollkommen freudlos und habe null Antrieb, strauchle jeden Tag mit meinem Selbstwert und hänge tageweise kotzend über dem Klo wegen meiner massiven Migräneattacken? Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, aber kann das wirklich 'unbemerkt' geblieben sein weil ich eben den Eindruck mache, reflektiert zu sein? Und können reflektierte Menschen denn nicht am Kämpfen sein wie blöd?


Ich bin grade einfach verunsichert ob ich in der Therapie was falsch gemacht habe, einen Eindruck vermittelt habe der nicht zielführend ist, oder ob die Ärztin einfach naja... nicht so richtig durchschaut hat, wie groß das Problem wirklich ist. Sie meinte dann auch noch "Da haben wir aber viel Arbeit vor uns." und ich dachte äh ja.. war das irgendwie unklar? Ich habe mich auch nicht verstellt oder mich anders gegeben als ich sonst bin. Sicher, um manche Themen bin ich herumgetanzt und habe manches nicht direkt angesprochen, aber auch da bemühe ich mich sehr, ganz ehrlich zu sein.


Wie würdet ihr mit solchen Eindrücken umgehen? Bin ich einfach zu ungeduldig?


Danke allen fürs Lesen!


D.

Antworten

  • Pitjes
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    @Darling

    Ich brainstorme mal so ein bisschen, natürlich nur auf Grundlage deiner Schilderung:

    Du wertest die Äußerungen der Ärztin nach deinen Maßstäben, was ja normal ist. Aber vllt. meint die das ganz anders. Es könnte auch die Aufforderung an dich sein, mit dir ins Gespräch zu kommen. Also frag sie einfach mal. Ihr kennt euch doch erst seit einem Jahr, und dann auch nur alle drei Wochen! Die Entstehung einer fruchtbaren therapeutischen Beziehung dauert aber individuell betrachtet viel länger. Daher empfinde ich eine Einheit alle drei Wochen als zu wenig, weil du in der Zwischenzeit wieder deine Verteidigung neu strukturieren kannst. Aber so kommst du nicht weiter. Ich persönlich finde eine Gruppentherapie besser, und dann über mehrere Stunden - niemand ist in der Lage, sich über eine so lange Zeit zu verstecken. Aber erst ab dem Zeitpunkt beginnt die Genesung, wo du dich öffnest. Manchmal ist allein schon das die Rettung, das sich Öffnen. Wieso denkst du, die Therapie sei fehlgeschlagen? Rede mit ihr über deine Bedenken und Mutmaßungen.

    Kann es sein, dass du dich versteckst mittels deiner Fähigkeiten, und dir bewusst die Mäntelchen Selbstreflektiertheit und innerliche Festigung übergeworfen hast, um dich zu schützen davor, entdeckt zu werden? Aus der Befürchtung vor Ablehnung in deiner Urfassung? Sensible Menschen wittern sofort Gefahr von grade den Menschen, die sie weiter bringen können, helfen können, so paradox sich das auch anhört. Da solltest du schon etwas offensiver sein, statt dich in Vermutungen, mit ihren wiederum eigenen Wirkungen auf dich, zu verzetteln. Die würdest du ja auch nicht mit ihr überprüfen. Du bleibst so nur unsicher über deine Wirkung auf Andere, und über dich selbst. Also rede mit deiner Therapeutin.

    Leider bekommen wir heute kaum noch Spiegelungen von uns von Anderen. Aber auf die sind wir angewiesen, um unsere Stellung in der Gesellschaft zu erkennen, uns überprüfen zu können, weil wir soziale Wesen sind.

    Ja, und die Wäsche, die da so rumoxidiert, egal. Das wird schon. 

    Sorgen sind wie Nudeln, man macht sich immer zuviel

    Gib Alles, bloß nicht auf!

  • Hallo @Darling


    Danke für deinen wichtigen Beitrag, den ich mit viel Interesse gelesen habe.

    Ich habe etwas ob der Äusserung deiner Therapeutin gestutzt, ehrlich gesagt. Es hat sich für mich so «angehört», wie das, was Kolleg:innen sagen, wenn man ihnen erstmalig von einer psychischen Krankheit erzählt. Ich kann also sehr gut nachvollziehen, dass dich das verwirrt oder sogar etwas getroffen hat. Meiner Meinung nach war die Aussage der Therapeutin unüberlegt. Ich meine, selbst wenn du immer reflektiert und gefestigt wirkst: sollte es nicht ihre Aufgabe sein, deine Probleme dennoch zu erkennen, bzw. «hinter die Fassade zu schauen»? So kenne ich es zumindest von meinen Therapien...


    Ich finde deshalb den Rat von @Pitjes gut und denke auch, dass du sie darauf ansprechen solltest. Daraus kann sich ein Gespräch ergeben, in dem du dich noch etwas mehr öffnen kannst. Zu deiner Frage mit der Ungeduld: Ich verstehe sehr gut, was du meinst. Es gab auch bei mir immer mal wieder Phasen in der Gesprächstherapie, in denen ich das Gefühl hatte, nicht mehr weiterzukommen. Ich habe dann entweder eine Pause eingelegt oder meinen Psychiater direkt gefragt, was ich noch tun könnte. Hält dieses Gefühl bei dir länger an, wäre es wohl eine gute Idee, etwas Neues auszuprobieren. Das kann ein Therapeutenwechsel sein oder eine andere Art von Behandlung wie die kognitive Verhaltenstherapie, Gruppentherapie, Schematherapie, etc. Das ist natürlich eine grosse Veränderung, die Angst macht oder überfordern kann, aber die Chancen stehen gut, dass du dadurch eine neue Perspektive bekommst.


    Ich drücke dir die Daumen, dass, welchen Weg du auch immer wählst, deine Situation bald einfacher wird, du dich besser fühlst und du morgens etwas leichter aus dem Bett kommst🙏


    Liebe Grüsse

    Janine

  • Darling
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    Hi, und danke @Pitjes und @Janine_EnableMe ! Eure Antworten finde ich beide sehr hilfreich!

    Und ja, das ist genau auch meine Sorge Pitjes; Dass ich - wenn auch nicht absichtlich oder bewusst - mein Mäntelchen der Eloquenz übergeworfen habe um mich selbst zu schützen. Um ehrlich zu sein weiß ich es garnicht so genau, halte es aber für möglich, und das wäre natürlich ganz und gar kontraproduktiv. Ich bemühe mich sehr, offen und ganz direkt zu sein. Eine weitere Befürchtung... ach nein ich will auch hier völlig ehrlich sein... eine traurige Gewissheit.. ist dass ich gegenüber meiner Therapeutin manchmal einfach 'gefallen' möchte. Ist natürlich Schwachsinn, ich weiß es eh selbst. Und doch kann ich das nur schrittweise abstellen. Ich werde aber auch das bei der nächsten Sitzung ansprechen. Einfach damit auch sie sich leichter tut, mich korrekt einzustufen. Immerhin kann auch ein Therapeut nicht Gedankenlesen, richtig?


    Ich bin im Moment frustriert weil ich mich so sehr bemühe, mein wahres Ich zu zeigen damit das alles wirklich Sinn hat, und ich ständig überlege ob dies und das jetzt wirklich das ist, was ich fühle und ob das was ich ausdrücke auch sicher nicht in eine andere Richtung deutet oder ich um ein Thema herumtanze. Und dann kommt halt "Ich wusste nicht, dass es Ihnen so geht.". Ich sehe da bei MIR eine Art von Versagen. So quasi, ich habe nicht klargemacht, was mein Anliegen ist. Ist das halbwegs verständlich? Hier mit euch darüber zu reden hilft mir, meine Gedanken zu ordnen. Großes Danke dafür!


    Schon öfter habe ich überlegt, ob nicht eine stationäre Aufnahme und eine kompaktere Therapie mir vielleicht gut tun würde. Auch tatsächlich, damit mir, falls ich das unbewusst tue, die Kraft ausgeht mich zu verstellen. Das Ding ist nur, dass ich zwei 'special needs' Hunde habe, deren Betreuung niemand anderer übernehmen KANN. Ich glaube aber dass es auch tagesklinische Angebote gibt, bei denen ich zumindest abends nach Hause kann. Darüber werde ich mich in den kommenden Tagen schlau machen.


    alles Liebe

    D.

  • Hallo du Liebe :)


    Ich kann deine Ansichten und Gedanken sehr gut verstehen. Ich war selbst einmal an diesem Punkt.

    Mittlerweile bin ich selbst Gesprächstherapeutin und sehe auch die andere Seite. Wichtig hier ist, behalte deine Gedanken nicht für dich oder suche den Fehler bei dir. Sprich das Thema an in einer Sitzung, gib ihr Bescheid wie es für dich rübergekommen ist und welche Gedanken du dir diesbezüglich gemacht hast. Dies ist unglaublich wichtig für eure Zusammenarbeit und Beziehung zueinander. Wie du beschreibst, hindern dich diese Gedanken ja auch und geben dir das Gefühl auf dem falschen Weg zu sein. Darum umso wichtiger, diese Sache aus dem Weg zu räumen damit du auf deinem Heilungsweg weitergehen kannst. Eventuell hat es die Therapeutin nicht so gemeint? Oder hatte wirklich eine andere Seite von dir im Kopf? Du weisst es nicht, ehe du sie nicht darauf ansprichst. Das Pro an der ganzen Sache? Du stehst für dich selbst ein und äusserst dein empfinden. Das ist so hilfreich!!


    Bezüglich deiner Gedanken eines neuen Arbeitgebers, ob er deine Besonderheiten akzeptiert.

    Ich kann dir aus meiner Sicht erzählen, dass ich nun einige Arbeitgeber hatte in den letzten Jahren. Ich selbst habe jahrelang unter starken Angst- und Panikzuständen gelitten. Auch auf der Arbeit. Anfangs fiel es mir schwer bin dann aber immer je mehr offen damit umgegangen. Zu dir selbst stehen ist schon der erste Schritt! Wenn du unsicher wirst, wie du dich gibst und dass andere deine Besonderheiten nicht akzeptieren würden, werden sie dir genau diese Unsicherheiten spiegeln. Denn wenn du deine Besonderheiten nicht akzeptierst wer dann?

    Es ist sicherlich nicht einfach in der heutigen Zeit Arbeitgeber zu finden, die einem so annehmen wie man ist. Doch es gibt sie. Ich habe diesen Arbeitgeber auch gefunden nebst meiner Selbstständigkeit. Ich vertrete aber auch klar meine Meinung, dass meine Gesundheit (mental und physisch) wichtiger ist als jede Arbeitsstelle. Denn niemand gibt mir meine Gesundheit zurück. Und wer das nicht möchte, hat sowieso nichts in meinem Leben verloren. Diese Einstellung spart mir unglaublich viel Energie und Sorgen. Eine Lösung gibt es immer. Wenn wir uns auf die Lösung fokussieren.


    Wenn du Fragen hast, darfst du dich gerne jederzeit bei mir melden. Ich wünsche dir von Herzen alles Gute. Du schaffst das !

  • Darling
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    Grüß Dich @nicole_pfund :)


    Ja ganz genau so empfinde ich das auch! Jetzt hatte ich ja einige Zeit um darüber nachzudenken und ich habe auch das Gefühl, dass ich meiner Therapeutin gegenüber gerne offen sein kann. oder sogar muss, wenn ich möchte dass wir ordentlich mit einander arbeiten können. Geht ja im Job auch nicht, wenn man nur die halben Infos weitergibt und sich dann wundert, wieso irgendein prozess ins leere oder in die falsche richtung läuft!


    Es ist super für mich, deine Sicht zu lesen! Vielen Dank dafür :)


    alles Liebe