Intensive Reha für inkompletten Querschnitt mit über 50 % Chance zum Laufen?

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Die Frage bezieht sich auf eine Diskussion, die ich gerade mit einem Familienangehörigen führe. Er/Sie behauptet, dass die Chance "mehr als 50 %" hoch sei, bei einer inkompletten Querschnittslähmung mit Restfunktionen (d.h. man kann einige seiner Muskeln noch bewegen, aber nicht alle) wieder laufen zu können.
Er/sie beruft sich dabei auf eine Aussage einer Telefonistin einer Reha, der/die behauptete, dass es fast ausschließlich darauf ankommt, wie sehr man für das Wiedererlangen des Laufens kämpfen würde und die Zahl der laufenden Querschnittsgelähmten nur deshalb relativ gering sei, weil die meisten sich mit dem Rollstuhl abfinden würden und somit weder die Zeit, noch das Interesse haben an weiteren intensiven Rehamaßnahmen, die sie dann vollständig auf die Beine bringen würden, teilzunehmen.
Ich weiß nun nicht, ob diese Aussage wahrheitsgemäß ist oder nur ein Versuch war einen neuen Rehapatienten an Land zu ziehen und ihm unrealistische Hoffnungen zu machen. Deshalb hier die Frage an Rollstuhlfahrer:
Wenn ihr mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit WÜSSTET, dass euch eine intensive Reha von 1 oder vielleicht 2 Jahren wieder vollständig auf die Beine bringen würde (ungefähr zu dem Gangbild, das Markus Holubek hat), würdet ihr das zeitlich in euer Leben einbauen können bzw. wäre euch das so wichig, dass ihr dafür den Beruf vorerst vernachlässigen würdet oder ist es tatsächlich so, dass, so wie mein Angehöriger es behauptet, die meisten querschnittsbedingten Rollstuhlfahrer hauptsächlich wegen Bequemlichkeit, Akzeptanz ihrer neuen Situation und familiär oder beruflich bedingtem Zeitmangel sich nicht so sehr für ein Wiedererlangen der Lauffähigkeit interessieren und bemühen. Wie wichtig wäre euch ein Wiedererlangen der Gehfähigkeit im Verhältnis zu euren aktuellen Lebensumständen? Würde euer Leben ein zeitintensives Training zulassen oder würdet ihr euch im Falle des Falles dafür Zeit in eurem Leben verschaffen? Oder aber ist euch die Gehfähigkeit gar nicht so wichtig, sodass sich dieser Aufwand für euch gar nicht lohnen würde? Mir ist klar, dass das Laufen nicht für jeden das wichtigste auf der Welt ist. Muss es auch nicht. Doch wenn schon die hypothetische Gewissheit bestünde, dass sich der Einsatz am Ende durch eine Gehfähigkeit auszahlt, würdet ihr diese sehr intensive monatelange oder jahrelange Arbeit auf euch nehmen?
Schätzt ihr die Chance für inkomplett Querschnittsgelähmte ebenfalls auf über 50 %, dass (rein anatomisch betrachtet) eine Wiedererlangung der Gehfähigkeit ohne Hilfsmittel möglich wäre? Ich weiß, dass jeder Querschnitt anders ist und es auf den Einzelfall ankommt, aber trotzdem kann man doch einen allgemeinen Erfolgsfaktor einschätzen wieviel Prozent der inkomplett Querschnittsgelähmten diese "guten Aussichten" haben und wieviel nicht.

DASS eine Reha generell gemacht wird und gemacht werden sollte, ist klar. Die Frage ist nur, ob sie auch intensiv genug gemacht wird, oder ob es eben auch bei inkompletter Lähmung üblich ist, dass anatomisch gesehen kein Laufen mehr möglich ist. Sowas bestreitet ja mein Angehöriger und behauptet pauschal, es käme "nur auf den Willen an", wenn es kein kompletter Querschnitt ist.

Falls ihr jemanden aus eurem Bekanntenkreis kennt, der nach einer Querschnittslähmung das Laufen wieder "erlernt" hat, oder ihr selbst eines solcher Fälle seid, bitte ich ebenfalls um einen kurzen Erfahrungsbericht. Bitte mit Angabe der Schwere der Querschnittslähmung und der Hilfsmittel, die ggf. noch beim Laufen von Nöten sind. Ansonsten bitte ich alle anderen nicht laufenden Querschnittsgelähmten um die Antwort auf die ersteren Fragen bzgl. des "Willens" und der Einsatzbereitschaft.

Es wäre gut, wenn zu jeder Antwort noch kurz der Hinweis gegeben würde, ob derjenige selbst von einem Querschnitt betroffen ist oder nicht.

Danke!

Antworten

  • Hallo....
    wir betreuen Querschnittgelähmte Klienten und kann dir dazu was schreiben. dauert aber.. Nur vorab...
    ZITAT:" Er/sie beruft sich dabei auf eine Aussage einer Telefonistin einer Reha, der/die behauptete, dass es fast ausschließlich darauf ankommt, wie sehr man für das Wiedererlangen des Laufens kämpfen würde und die Zahl der laufenden Querschnittsgelähmten nur deshalb relativ gering sei, weil die meisten sich mit dem Rollstuhl abfinden würden und somit weder die Zeit, noch das Interesse haben an weiteren intensiven Rehamaßnahmen, die sie dann vollständig auf die Beine bringen würden, teilzunehmen."
    Diese Aussage, kann nur eine TELEFONISTIN treffen ! Inhaltlich fast komplett falsch !
    Demnächst dazu mehr von mir. Kann aber ein wenig dauern.

    LG Thomas
  • Breather hat geschrieben:
    Hallo....
    wir betreuen Querschnittgelähmte Klienten und kann dir dazu was schreiben. dauert aber..
    .....
    Demnächst dazu mehr von mir. Kann aber ein wenig dauern.

    LG Thomas


    Hey, vielen Dank für die Reaktion!

    Ja, das wäre sehr nett und hilfreich. Ich warte solange, kein Problem.

    Gruß
  • Hallo breather

    Steht das Angebot mit der Antwort noch? Mich würden die Erfahrungen von jemanden, der beruflich viel mit dem Thema zu tun hat, schon sehr interessieren.

    Hoffe Sie haben mich nicht vergessen 😀

    Danke.
  • Hallo…
    so dann werde ich mal My2Cent dazu beitragen…
    Wie schon erwähnt, wird die Qualität der Aussage deutlich, dass diese von einer TELEFONISTIN kommt! Ich gehe nicht davon aus, das sie mit diesem Thema (inkompletter QS) auch nur im Ansatz wirklich was dazu beitragen kann.
    Ob ein inkompletter QS irgendwann mal wieder „laufen“ kann, hängt von sehr vielen Faktoren ab. Hier nur einige..
    Höhe der Lähmung, welche Regionen sind betroffen, was läuft an Rehamassnahmen, wie lange liegt der QS zurück u.v.m. Last but not least, gehört auch die Mitarbeit des Betroffenen dazu.
    Ein Beispiel: Wir betreuen seit 2009 einen QS Höhe CO also die höchste überlebbare Querschnittslähmung. Bei Übernahme des Betroffenen, konnte er nichst bewegen außer den Augenlidern und war 24 Stundenbeatmet. Im Lauf der Jahre, kann er heute wieder die Arme und Beine bewegen ist „rumpfstabiler“ geworden, benötigt die Beatmung nur noch nachts. Also insgesamt eine sehr deutliche Verbesserung und wir sind noch nicht am Ende angelangt. Weshalb diese Verbesserung eingetreten ist, kann niemand genau sagen. Was aber dazu beigetragen hat, ist jahrelange intensives tägliches Training. Ein eiserner Wille des Klienten trägt dazu ebenfalls bei, Soll meinen, dass eben viele Voraussetzungen gegeben sein müssen um Fortschritte zu erzielen. Eine Reha alleine betrachtet, bringt diese Fortschritte sicher nicht. Ist auf Grund der Rehadauer auch nicht wirklich zu erwarten. Der stete Tropfen höhlt den Stein. Ich möchte eigentlich nicht auf all deine Fragen eingehen, sondern nur auf die wesentlichen.
    Wie anstrengend ein solches jahrelanges Training ist, hängt auch von der Qualität der Therapeuten ab. Es gibt unzählige Methoden, Erfolge zu erzielen. Hier nur einige Beispiel ! Stärken der Rumpfstabilität, Kräfteaufbau, Feinmotorische Übungen, Lokomotionstraining, Giger-Therapie Schwimmtherapie uv.m. Du siehst der Rahmen der therap. Möglichkeiten ist sehr vielfältig. Und jetzt zum Schluß kommt der Betroffene ins Spiel. All diese von mir genannten Massnahmen, greifen nur, wenn der Betroffene auch bereit ist, diese mitzutragen. Soll meinen, ohne seine „Mitarbeit“ wird es auch keine Verbesserung geben. Vielleicht meinte das die Telefonistin im Wesentlichen.
    Es gibt beschriebene Fälle, wo QSgelähmte wieder das laufen erlernt haben. Aber das waren meist ganz besondere formen einer QSlähmung ( z.B. Contusio spinalis) oder sehr tiefe Querschnittslähmungen.
    Primäres Ziel sollte nicht zwingend das laufen sein (dieses Ziel wäre zu weit weg), sondern die allgemeine Verbesserung der Beweglichkeit. In kleinen Schritten denken wäre hier eher angezeigt. Auch Rückschritte wird es geben. Und hier muss dann neu angesetzt werden.. und das erfordert eben dann den eisernen Willen des Betroffenen.

    Das soll es erstmal gewesen sein.

    LG Thomas