Prothesen mit Zukunft

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Ich habe neulich in einer Sendung etwas über Prothesen gesehen, was sehr interessant war. Nur hat es für mich sich richtig nach Science Fiction angehört eine Prothese welche über Gedanken gesteuert wird. Und somit eine Prothese mit Batterieantrieb völlig überflüssig macht. Auch soll man wieder den unterschied zwischen kalt und warm spüren.

Ich selber trage keine Prothese würde aber gern einmal wissen, ob es das schon wirklich gibt, ob schon welche in den Genuss dieser Prothesen gekommen sind. Was sind die Vorteile was die Nachteile. Und ob die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden.

Bitte nicht wundern, aber ich interessiere mich sehr dafür, vor allem weil es mir nicht erklärbar ist weil man etwas mit dem Kopf steuern kann, wie eben eine Prothese.

Oder ob das ganze doch nur Fiction ist.


Danke Ylvie

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  • swisswuff1
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    Ylvie hat geschrieben:
    Ich habe neulich in einer Sendung etwas über Prothesen gesehen, was sehr interessant war. Nur hat es für mich sich richtig nach Science Fiction angehört eine Prothese welche über Gedanken gesteuert wird. Und somit eine Prothese mit Batterieantrieb völlig überflüssig macht. Auch soll man wieder den unterschied zwischen kalt und warm spüren.

    Ich selber trage keine Prothese würde aber gern einmal wissen, ob es das schon wirklich gibt, ob schon welche in den Genuss dieser Prothesen gekommen sind. Was sind die Vorteile was die Nachteile. Und ob die Kosten von den Krankenkassen übernommen werden.

    Bitte nicht wundern, aber ich interessiere mich sehr dafür, vor allem weil es mir nicht erklärbar ist weil man etwas mit dem Kopf steuern kann, wie eben eine Prothese.

    Oder ob das ganze doch nur Fiction ist.


    Danke Ylvie


    Armprothesen steuert man so, wie man alles steuert - das Hirn fängt an, und dann kommt dieses und jenes; bis sich was bewegt, muss eine Menge stimmen.

    Kabelzug-gesteuerte Prothesen werden mit einem einfachen Kabelzug geöffnet (oder geschlossen). Das ist mechanisch, und so geht es vom Hirn auf die Muskulatur, diese bewegt dann den Schultergurt oder Prothesenschaft, bis sich die Hand öffnet. Der grosse Vorteil ist hier, dass so eine Prothese sehr robust gebaut werden kann (auch wenn sie oft nicht robust gebaut wird). Die Steuerung kann sehr fein graduiert werden, also man kann die Verschlusskraft ausserordentlich gut dosieren. Die ganze Bewegungssteuerung ist auch relativ stark störungssicher und im Grunde sehr intuitiv. Hooks sind grifftechnisch im Alltag was vom Brauchbarsten, was es gibt, innerhalb der kleinen Welt der Armprothetik, gerade eben wenn man einigermassen viel an manuellen Arbeiten unternimmt. Dieses Prinzip der Steuerung ist über 100 Jahre alt. So eine Prothese kostet um die 5000 bis 10000 Franken, je nach dem was man da an Sachen so verbaut.

    Myoelektrische Prothesen, heutzutage auch oft als "bionische" Prothesen hingestellt, verfügen üblicherweise über 2 Elektroden die auf der Haut am Stumpf sind. Damit sie dort auch bleiben, und nicht z.B.verrutschen, ist der Schaft für diese Art Prothesen meist viel unbequemer. Wenn man also die Beugeseite der Stumpfmuskulatur zusammenzieht, wird die eine Elektrode aktiviert. Wenn man die Streckseite der Muskulatur aktiviert, die andere Seite. Zieht man am Schaft - etwa wenn man einen Einkaufskorb trägt - so riskiert man dass die Elektroden den Kontakt zur Haut ganz verlieren, dann hat man den Salat. Hier aktiviert man durch Hirngedanken den Muskel am Armstumpf, der zieht sich zusammen, was die Elektrode erkennen soll, tut sie das, so bewegt sich über ein Kabel und die Batterienergie ein Motor. Dann bewegt sich was. Vorteil ist, dass mit sehr wenig Muskelkraft gearbeitet werden kann; auch wirkte das Gesurre der Motörli und die Anmutung von "High Tech" sehr stark so, als ob da etwas ganz besonderes passiere, und dadurch kann sein dass so eine Prothese stark Eindruck macht, also, Leute beeindruckt. Nachteile sind, dass die Steuerung nicht besonders intuitiv oder leicht zu lernen ist; sodann werden die Elektroden auch als Nebeneffekt von Tätigkeiten aktiviert, bei denen man diese gar nicht aktivieren wollte,. also fällt mir etwa immer wieder etwas aus der myoelektrisch gesteuerten Hand wenn ich den Ellbogen anhebe, was sehr unpraktisch ist oder auch Sachschaden verursacht; dosieren kann man die Greifkraft nicht gut oder nur schlecht, das ist mit der Kabelsteuerung bedeutend einfacher; Interferenzen oder Störfelder sind ein Problem; die Präzision der Griffe ist bei mechanischen Hooks unübertroffen, wird durch myoelektrische Hände nicht erreicht; diese Art Prothesen kosten sehr viel bis extrem viel Geld, und liegen also zwischen 25 000 und 80 - 90 000 Franken oder mehr. Sie gehen je nach Einsatz fast dauernd kaputt (ein 700 Fr. teurer Schutzüberzug ist bereits nach einfacher manueller Tätigkeit ohne weiteres innert 20 Minuten so beschädigt, dass man ihn wegwerfen muss); und die Repaturen können extrem teuer sein. - Sie sind aber bei Prothesentechnikern dann beliebt, wenn diese selbst bei Hardwareverkäufen prozentual mitverdienen; damit würde ich insbesondere das Finanzierungsprinzip per se hinterfragen, dass jemand für geleistete Arbeit bezahlt werden soll, steht für mich ganz ausser Frage. Das Steurungsprinzip, das bis heute im Grunde unverändert eingesetzt wird, wurde in den 30er und 40er Jahren entwickelt und etwa 1950 mit dem "Russischen Arm" salonfähig gemacht; es ist also nicht, wie in den Medien oft beteuert wird, um etwas besonders Modernes. Die "bionischen" Hände sind Prothesenteile, die das umschalten verschiedener Handbewegungen erlauben, laufen aber wie früher mit 2 Elektroden.

    Von eigentlicher "Gedankensteuerung" spricht man korrekterweise erst, wenn ausser Gedanken kein weiteres Substrat notwendig ist, um eine Prothese zu steuern. Da das die Technologie heute nicht kann, - also: substratfrei Gedanken auslesen um eine Handprothese zu steuern - wird der Begriff stets missbräuchlich verwendet. So reden Leute dann von "Gedankensteuerung", wenn sie meinen, dass jemand Steuerelektroden ins Hirn eingebaut bekam (was ein ziemlich invasiver Eingriff ist, der besser als "Hirnkabelsteuerung" bezeichnet würde). Man wird auch dann von "Gedankensteuerung" hören, wenn die Forscher etwa zu vermitteln meinen, dass der Prothesenträger nicht (wie oben gesagt) nicht-intuitive, und daher die mit den üblichen Problemen behaftete 2-Elektrodensteuerung verwendet, sondern wenn er "ohne darüber nachzudenken" die Prothese steuert. Dies kann dadurch erreicht werden, dass man ihm verschiedenste Elektroden in den Stumpf einpflanzt und dann Software verwendet, die errechnet, was er mit einem bestimmten Aktivierungsmuster gemeint haben könnte. Dies wird durch zeitaufwendiges und fehlerbehaftetes Trainieren der Software versucht. Richtigerweise würde man dies daher nicht als "gedankengesteuert", sondern als "durch eingepflanzte Elektrodenkabel und aufwendige fehlerbehaftete Software angesteuert" bezeichnen. Dass diese ehrliche Wortwahl natürlich nicht zu begeisterten weiteren Bezuschussungen von Forschungsgeldern führt, hat zur Folge, dass man in diesem Gebiet leider öfters mal angelogen wird.

    Damit dies nicht so böse klar erkennbar ist, versucht die Forschung, diese Art myoelektrische "Prothese der Zukunft" mit weiteren Leistungsmerkmalen zu bepacken. Die Rückmeldung von Tast- oder Temperaturfeststellungen gehört dazu. Armprothesenträger sollen ja angeblich in Umfragen oft sagen, sie trügen deswegen ihre Prothese nur selten oder nicht mehr, da "diese nicht fühlen". Daraus hat die Forschung abgeleitet, dass man nun solche Prothesen bauen soll. Man darf nicht vergessen, dass ein Prothesenbauer / techniker, von dem man als Armamputierter direkt abhängig ist, der dann fragt, "wieso tragen Sie dieses nicht", kaum eine ehrliche Antwort bekommen kann, denn oft traut man sich nicht zu sagen, genau wie unbequem, schwer, wenig tauglich, hässlich und im eigenen Aufwand aufwendig so eine Prothese letztlich ist; man macht es sich einfach und sagt "man spürt damit nichts" in der Hoffnung, dass damit Ruhe ist. Prothesen mit myoelektrischen Sensoren, Batterien und motorgesteuerten Händen sind mit zu weiter vorne liegenden Schwerpunkten und zu hohen Gewichten bereits jetzt zu überladen, da weitere Sachen drauf zu bauen benötigt schon eine sehr besondere Geisteshaltung, die sich jedenfalls nicht an meinem Anforderungskatalog an einen alltagstauglichen Prothesenarm orientiert. Wer will das denn am Ende alles herumschleppen.

    Ich brauche keine Prothese, die extra zusätzlich weitere sensorische Rückmeldungen liefert; erstens ist mein Armstumpf eine oft eiskalte nicht gut durchblutete Schwabbelmasse, die gestaut ist, die oft extrem berührungsempfindlich ist, meist weh tut und die das bisschen an 2-Punktediskrimination, Anstoss- oder Berührungs- sowie Positionswahrnehmung die sie noch hat (die schlecht genug ist) auch im Prothesenschaft gut umsetzt bzw. Prothesenposition oder -berührungen, etc. im groben Bereichen wahrnimmt und meinem Hirn weitermeldet, so dass ich nicht "nichts" merke in der Prothese; es ist wie mit Schuhen, da merkt man meist auch ohne Sensoren, etwa wo man hinläuft oder ob es rutschig ist. Zweitens tut dann Schutz auch gut. Temperaturen gerade nicht zu fühlen ist ein riesiger Vorteil; das in besonderem Mass etwa im Winter, oder wenn man Fleisch grillt, oder Nudeln aus dem Kochwasser fischt um zu schauen ob sie al dente sind, oder wenn man gerade einen Grill oder ein Feuer anzündet und das Streichholz mit dem Hook hält wo man es abbrennen lassen kann.

    Am Ende sind Prothesen, die nicht belastbar und günstig, nicht intuitiv und sehr bequem sind, solche, die nicht andauernd dauernd getragen werden. Dadurch lernt man die blind beherrschte Fähigkeit dann auch nicht so besonders gut, klar. Um die Asymmetrie und Überlastung zu verhindern, muss meine Prothese besonders und vor allem diejenigen Arbeiten unterstützen, die sowohl beide Hände erfordern, also echt bimanuelle Tätigkeiten, sowie, Tätigkeiten, die derart stark repetitiv oder schwergewichtig sind, dass sie überhaupt eine Überlastung hervorrufen. Damit müssen logischerweise taugliche Armprothesen, die sich über Jahre bewähren, auf diesen Belastungsbereichen gut sein. Sie müssen extrem bequem, sein, sehr leicht, und sehr zug- und druckstabil, sowie greif-kräftig. - Das lässt sich mit myoelektrischen Systemen schwieriger, mit eigenkraftgesteuerten System dagegen einfacher, erreichen; es ist aber stets ein gewisser und oft nicht unerheblicher Aufwand, eine Prothese so hinzukriegen, dass sie das dann auch wirklich tut. Erst wenn die Prothese bei mir weit über 10-20 kg Zug erträgt, bei allen Aussentemperaturen und auch bei grosser Hitze oder Kälte, wenn ich stark schwitze, wenn es stundenlang dauert, auch unter echt harten Einsatzbedingungen, bei Dingen für die es zwingend beide Hände braucht, erst dann taugt sie als Alltagsmittel.

    Dagegen sind das Streichen eines Butterbrots (ich arbeite nicht in einer Küche wo ich hunderte Bröter streiche), das halten eines Bierglases (wie es von Proponenten neuartiger "bionischer" Armprothesen gerne als "Beweis" der "Fähigkeit" hergezeigt wird) oder auch das Binden von Schnürsenkeln (erstens trage ich so Zeugs kaum, sondern verwende Lock Laces, was ausserdem bequemer ist weil man die Festigkeit etwas lockerer haben kann ohne dass es aufgeht; zweitens binde ich Schuhe am Tag auch dann nur 1-2 x also nichts belastendes, das geht auch so oder so) keine Tätigkeiten, die das Entwickeln von besonders hochgradig "gedankengesteuerten" Prothesen erfordert.

    Zuletzt muss man erkennen, dass auch in den letzten 50 Jahren schon Projekte stattfanden, die so taten als ob sie "endlich gute Armprothesen" bauten. Davon fand praktisch nichts Eingang in den Alltag von Leuten, die Armprothesen tragen. Die sozialen Mechanismen, die dies in den letzten 50 Jahren so zuliessen, sind bis heute dieselben. Daher ändert sich an dem Umstand, dass dieses Thema zum Verbreiten von Behauptungen verwendet wird, auch nichts.

    Die den Alltag bei mir am nachhaltigsten verändernden Entwicklungen sind:
    - Velo/Fahrradadapter (Mert Hand) gebaut von einem US-amerikanischen Motorradmechaniker
    - Becker Hand (manuell gebaute Prothesenhand von einem US-amerikanischen Prothesenbauer, ca. 60-70 Jahre alte Konstruktionsweise, extrem funktionell und robust)
    - Kabelzug (eigenes Patent / eigene Entwicklung)
    - Schulterverankerung (von meinem Prothesentechniker entwickelt)
    - Handgelenk (von Kollegen und mir zusammen gebautes, getestetes, verbessertes und nun patentiertes Teil)
    - einlegbare Heizelemente (im Winter ist mein Stumpf so kalt ich bekam schon 2x Frostbeulen) (von einem Kollegen vorgeschlagen und von mir selbst realisiert)

    Ich habe mit diesen aktuellen Komponenten reparatur-/wartungsfreie Einsatzzeiten unter absoluter mechanischer Vollbelastung von gut und gerne etwa 1 Jahr; übliche Probleme die danach auftreten können (v.a. Kabelriss) kann ich notfalls auch relativ rasch zu Hause selbst reparieren; das Handgelenk benötigt im Intervall alle 2-3 Jahre oder je nach dem eine Reinigung.

    Es gibt Dinge, wenn nicht ganze Betätigungsfelder, bei denen haben Armprothesen nichts zu suchen. Es ist also vom Fleck weg so, dass Armprothesen in ganzen Domänen, Wirkfeldern, stören, behindern, nichts leisten, oder nicht in Betracht kommen. Da gehört aus der Sache heraus das gesamte Intimleben dazu, wo üblichweise Haut auf Haut usw. / o.ä. etc. zu treffen hat. Sodann sicher Wassersport verschiedener Ausprägung, wo man ohne Prothese sehr gut bedient ist. Auch das Tragen besonders kratzempfindlicher, bzw. grosser schwerer Gegenstände lässt sich sachdienlicher und bedeutend rutschsicherer durch vorsichtiges Umarmen und greifen mit Hand / Arminnenfläche bewerkstelligen, als man es mit einer Prothese hinbrächte. Und so gibt es einige Dinge, die ohne Prothese vielleicht nicht ganz so elegant, aber mitunter besser, zuverlässiger, vorsichtiger, behutsamer, oder kräftiger gemacht werden können.

    Zuletzt gibt es Sachen, die man nicht alleine tut, wo man andere Leute um Hilfe bittet. Sicher kann man es weit bringen - aber muss das sein? Oft ist es gescheiter, man vermeidet allzu krasse Situationen oder Risiko, und sucht sich etwas Hilfe. Bei Umzügen, wenn man eine zerbrechliche Lampe aufhängt, wenn man einen Kabelzug unter Zug montiert, etc., kann es einfach der bessere Weg sein, jemanden um Hilfe zu bitten. Und auch hier habe ich widersinnigerweise dann immer wieder die "high tech" Prothesen als störend, einen Hook als besonders tauglich etwa zur Bewältigung schwer biegbarer steifer Kupferdrähte (bei Lampenmontage), oder gar keine Prothese als besonders brauchbar beim Aufhängen eines eher delikaten aber schweren Deckenlüfters empfunden.
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