Markus Rehm nicht für Zürich nominiert

Hallo, ich weiß nicht ob ihr die Geschichte um Markus Rehm aktuell auch so verfolgt wie ich. Gestern Abend habe ich dann noch diese Meldung gelesen:

Paralympics-Sieger Markus Rehm ist nicht für den Weitsprung bei den Europameisterschaften in Zürich nominiert worden. Dies gab der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) heute auf einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main bekannt. „Wir leben Inklusion. Es besteht aber der deutliche Zweifel, dass Sprünge mit Beinprothese und mit einem natürlichen Sprunggelenk vergleichbar sind", begründete DLV-Präsident Clemens Prokop die Entscheidung des Verbandes. Der 25-jährige Orthopädietechniker-Meister aus Leverkusen hatte bei den deutschen Meisterschaften der Nichtbehinderten am Wochenende nicht nur den Titel gewonnen, sondern mit 8,24 Meter auch die EM-Norm erfüllt.
Quelle: kobinet-nachrichten.org


Ich finde diese Entscheidung sehr bedauerlich für Markus und den gesamten Leichtathletik Sport! Wie seht ihr das ganz?

Antworten

  • YouCanDo hat geschrieben:
    Hallo, ich weiß nicht ob ihr die Geschichte um Markus Rehm aktuell auch so verfolgt wie ich. Gestern Abend habe ich dann noch diese Meldung gelesen:


    Ich finde diese Entscheidung sehr bedauerlich für Markus und den gesamten Leichtathletik Sport! Wie seht ihr das ganz?


    Hi,

    hochemotionales Thema, ich würde der Entscheidung aber zustimmen. Der menschliche Körper ist physisch begrenz und diese Grenzen mit Prothesen zu verschieben ist problematisch, es geht in eine ähnliche Richtung wie Doping, was ja auch verboten ist. Man öffnet ja die Schleusen für alle möglichen Anpassungen, warum sollte sich z.B. der Weitspringer nicht Sprungfedern in seine Schuhe einbauen lassen? Das Argument, dass diese Prothesen angeblich dem Sportler keinen Vorteil verschaffen finde ich nicht überzeugend. Es ist absehbar, dass wenn es heute nicht der Fall ist, es nur eine Frage der Zeit ist, bis es spezielle Prothesen gibt, welche die physischen Grenzen des Körpers überwinden und z.B. speziell für Hochleistungsportler entwickelt werden. Da wäre es sinnvoller, eine spezielle olympische Disziplin für solche Sportler anzubieten.

    gruß cajuns
  • Hallo cajuns,
    ich teile deine Sichtweise vollkommen.
    Jedoch wurde in der Berichterstattung bzw. in der Entscheidung der Fokus nur auf den Vorteil beim Absprung mit der Carbonfeder gelegt. Der Nachteil, der beim Anlauf mit geringerer Geschwindigkeit entsteht, wurde nicht berücksichtigt.

    Ich hoffe, dass dies noch nicht die letzte Prüfung war und es weitere Untersuchungen dazu gibt.
  • Ich halte die Entscheidung für richtig.
    Offensichtlich hat er beim Absprung durch die "Carbonfeder" deutliche Vorteile. Vorteile, die die geringere Anlaufgeschwindigkeit bei weitem übertriffen.
    M. Rehm hätte ja gegen die Entscheidung rechtliche Schritte einleiten können. Aber ich denke ihm wird klar sein, dass er damit scheitern würde.

    LG Thomas
  • Ich weiß nicht...

    Das einzige Argument, das mich ausbremst, kommt von cajuns.
    Er hat gesagt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es spezielle Prothesen gibt, die die physischen Grenzen des Körpers überwinden und z.B. speziell für Hochleistungsportler entwickelt werden.
    Dies ist nämlich die Weiterentwicklung des Gedankens und ich gebe zu, dass ich bisher nicht auf diese Idee gekommen bin.

    Ansonsten sehe ich es anders.
    Wir hatten dieses Thema nämlich auch im Kollegenkreis diskutiert und ich gebe zu, mich sehr geärgert zu haben über manche Äußerungen eines mir nicht allzu sympathischen Kollegen, die in die Richtung gingen, dass Behinderte ja "nur" Vorteile hätten, Extra-Parkplätze, Extra-Urlaub, Steuervergünstigungen und nun noch Vorteile im Sport durch diese "Wunderfeder" in der Prothese.
    Da ist mir dann der Kragen geplatzt und ich habe gesagt, "wenn es dir so arges Bauchweh macht, dass er so einen immensen Vorteil hat durch seine Prothese, dann lass dich doch amputieren und dann darfst du alle damit verbundenen Vorteile genießen."

    Echt mal.
    Man hat so viele Nachteile durch eine Amputation.
    Und nun gibt es mal einen Vorteil- und schon muss man in die zweite Reihe zurücktreten, weil die armen Nichtamputierten sonst das Nachsehen hätten.
    Deshalb würde ich mir wünschen, dass er mitmachen kann.
    Ohne Aufrechnen.

    Ja, es ist in der Tat ein emotionales Thema.
    Auch hier hat cajuns recht.

  • Hmmm...

    Ich bin da etwas geteilter Meinung.

    Mit der Prothese hat er einen rein physischen Vorteil, daher ist es wohl richtig hier die Wettkampfbedingungen zu schützen.

    Doch ander Seits, wäre es wohl ein schritt in die richtige Richtung gewessen wenn es um Integration geht. Es wäre ein Zeichen das Behinderte im Sport nicht ausgeschlossen sind oder nur in Behinderten verbänden was tun können sondern das hier gleich Behandlung das Ziel ist.

    Wie gesagt ich bin Zerrissen, doch vom Gefühl her finde ich es falsch ihn nicht zu zulassen.
  • Hallo Solitär,

    einiges kann ich nachvollziehen was du geschrieben hast..Aber das:
    "Echt mal.
    Man hat so viele Nachteile durch eine Amputation.
    Und nun gibt es mal einen Vorteil- und schon muss man in die zweite Reihe zurücktreten, weil die armen Nichtamputierten sonst das Nachsehen hätten.
    Deshalb würde ich mir wünschen, dass er mitmachen kann.
    Ohne Aufrechnen."


    ist ja wohl nicht ganz stimmig. Es handelt sich hier um professionellen Sport und wenn ein Mensch mit Handicap und "Hilfsmittel" (Carbonprothese)besser ist als ein Nichtbehinderter dann scheinen hier die Vorteile klar auf der Hand zu liegen. Gerade wenn es sich um einen Sport handelt wo die Sprungkraft extrem wichtig ist. Das sollte dir zu denken geben.
    Ich bin der Meinung das hier ganz klar das "machbare" Überschritten wurde! Ich möchte es sicher nicht mit Doping vergleichen, aber die deutlich verbesserte Sprungkraft durch die Prothese, ist auch eine Art des "Dopings".
    LG Thomas


  • Hallo Thomas,

    stimmig ist es sicherlich nicht; es ist ja auch emotional.

    Ich wollte auch einfach meine, sicherlich sehr bauchbetonten, Gedanken dazu aufschreiben- ohne Anspruch auf Richtigkeit.

    Frau ist nicht immer ganz sachlich. 😀
  • Der DLV hat sich damit sicherlich keinen Gefallen getan und kätte mal lieber eine Stufe weiter oben entscheiden lassen sollen.

    Pro und Contra zu Prothesen gibt es immer wieder und die Diskussion wird endlos sein. Markus Rehm hat den Vorteil, dass die Carbonfeder die Energie speichert. Aber es ist keine Muskulatur da, die dem ganzen System Energie zuführt. In Summe und am Ende bleiben bei verschiedenen Sportlern immer Unterschiede. Der eine ist klein, der andere länger...

    Manche ethnischen Gruppen haben Vorteile im Langstreckenlaufen. Werden sie deswegen bei der Leichtathletik ausgeschlossen? Gut, zwischen 1933 und 1945 hat man das praktiziert. Aber ich dachte, das hätten wir hinter uns. Ich glaube, das größte Problem haben die Funktionäre mit einer Veränderung ihres Weltbildes über den "idealen Sportler". Dann wohl lieber keine WM-Medallie, als die von einem Krüppel.






  • Es ist halt eine dumme Sache.

    Weitsprung mit Prothese ist eben anders, da gibt es andere vor und auch Nachteile. Selbst kann ich nicht beurteilen wie sehr da ein Vorteil entstehen kann. Doch sehe ich ein das die Wettkampfbedingungen sehr verändert werden, aus rein sportlicher Sicht halte ich die Entscheidung für vertretbar.

    Doch bin ich auch der Meinung das der DLV hier eine große Chance verschenkt hat für Integration und Gleichberechtigung behinderter und nicht behinderter Sportler. Das ist kein Rückschritt aber auch kein Schritt nach vorne, wie gesagt es wurde meiner Meinung eine Chance verpasst.

    Die Welt ist deshalb nicht schlecht und vergleiche mit dem dritten Reich halte ich für etwas überzogen, die Welt ist einfach noch nicht ganz so weit.
  • Ich finde, dass wer modifizierte Absprungtechnologien nutzt, auch andere Grundlage zum Vergleich benötigt, als Leute, die "einfach so" springen. Aufgrund des besonders starken Federmechanismus gehört Rehm sicher nicht in den nicht behinderten Wettkampfsport für Weitsprung, wo mit "normalen" Beinen gesprungen wird. Dass man mit Blades schnell rennen kann, bewies Pistorius. Wenn insgesamt anders gesprungen wird, aufgrund nicht mehr vergleichbarer Anatomie, dann soll man die Wettkampfkategorien trennen.

    Der Wettkampfsport für nicht behinderte (oder auch behinderte) Sportler ist sehr stark reglementiert. Es ist auch eine Nischenbeschäftigung, die nicht viele Leute betrifft. Es geht hier um grosses Augenmerk um Fairness, und zwar in jeder Hinsicht. Dass getrickst wird, und dass gedopt wird, ist etwas, das eventuell einige Sportler tun, und die ihnen zugewandten Berufe und Industrien - nicht aber der Verband, der die Regeln macht und überwacht. Wettkampfsport hat vornehmlich die Aufgabe, Möglichkeiten für faire Vergleiche zu organisieren, bezogen auf sehr spezifische Sportarten, und damit auch dafür zu sorgen, dass besonders unfaire Praktiken unterbunden werden.

    In der weiteren Zukunft ist wohl denkbar, dass unterschiedliche Weitsprungsportlerklassen die Ergebnisse wie etwa bei den IPC Klassen im Schwimmen über verschiedene Springergruppen hinweg vergleichbar machen. Etwa, indem jeder gegen den Weltrekord innerhalb der eigenen Klasse springt und man so Punkte berechnet. Aber auch diese System haben ihre Nachteile, und ob dadurch die Sache besser wird, weiss man nicht.

    Denn auch nichtbehinderte Athleten haben ihre Vorlieben. Ich selbst schwimme ja auch gerne mal immer wieder, und da wurde ich bereits mehrfach direkt angesprochen, wenn ich an Wettkämpfen für v.a. Nichtbehinderte war. Und zwar kann, kurz gesagt, kein Nichtbehinderter gut zu Hause erzählen, er habe sich gegen einen Behinderten durchgesetzt, so richtig stolz will man darauf nicht sein. Aber noch viel ärger ist, gegen einen Behinderten zu verlieren, das kann man dann gar niemandem mehr erzählen. Zudem wird gerade in zunehmendem Alter bei Nichtbehinderten durch den Sport, gerade dann den Leistungssport, der Leistungs- und Jugendwahn im Körperkult auf eine Weise ausgelebt, dass Optik und das Visuelle sehr sehr wichtig ist. Hier stört alles, was an Krankheit und Sterben erinnert, noch viel mehr als es das eh schon tut, und wer behindert aussieht und das angestarrt werden kennt, weiss wovon ich rede. Insofern ist Sport gerade so ab Alter 40 mit>>>NICHTEN<<< etwas grundsätzlich integratives, etwas aus sich selbst heraus verbindendes. Das kann es ausnahmesweise sein, wenn es nette Leute hat, die die Sache anders betrachten - aber vom Fleck weg würde ich sagen, haben bis heute nur ein geringer Teil der Menschheit diesen Entwicklungsschritt getan, dass sie "behindert" und "noch nicht so behindert" nicht mehr als unvereinbaren Kontrast ansehen.

    Dass gesamtgesellschaftlich und auch bezogen auf den Einzelnen ein Handicap schlimm ist, soziale Nachteile bringt, und so weiter, ist unbestritten. Dies aber zu lösen ist niemals Aufgabe von Wettkampfsport. Es ist die Aufgabe der Gesellschaft. Die soll sich hier überlegen, wie sie sich positionieren will. Wie sie das hinbekommt, diese Gesellschaft, das schauen wir uns dann mal kritisch beim nächsten Besuch im Hallenbad oder anderer Oeffentlichkeit an.

    Es ist aber interessant dass man hofft, dass Dinge, welche die Gesellschaft lösen sollte aber offenbar doch immer wieder verpasst, nun dem Wettkampfsport zugeschoben wird und werden soll.

    Ich halte es für ein Zeichen von Klarheit und Wichtigkeit, dass sich Wettkampfsportfunktionäre NICHT durch dieses Anbegehren einer Gesellschaft, die sich insgesamt mit Behinderten schwer tut, jetzt weiter drangsalieren lässt. Ich sage ausdrücklich "weiter" drangsalieren, denn Rehm hätte schon gar nicht an die Deutsche Meisterschaft gehört.
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